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Tim Evers

Über den Wolken

Aktualisiert: 11. Juli



April 2017, Arequipa, Peru


Es ist Reisehalbzeit und über 9200 Kilometer, sechs wunderschöne Länder und unzählige Erfahrungen und Bekanntschaften liegen hinter uns. Doch der Reiseblues hat uns erwischt. Nicht, dass wir aufgeben und den nächsten Flug nach Hause buchen wollen, doch das Nomadenleben zollt seinen Tribut. Wir sind einfach müde und es wird Zeit sich mal wieder zur Ruhe zu setzen. Also suchen wir nach Jobs (wie paradox: andere brauchen Urlaub vom Arbeiten und wir brauchen Arbeit vom Urlaub) und werden in Arequipa fündig. Für zwei Wochen sind wir verantwortlich fürs Frühstück und die Bar und bekommen dafür ein Bett und eine wahnsinnig tolle Zeit. Allein die Lage unseres Arbeitsplatzes könnte kaum schöner sein. Arequipa liegt auf einem Hochplateau in den peruanischen Anden und ist umgeben von schneebedeckten Vulkanen. Aufgrund seiner Nähe zur Küste, an der sich Steppen und Wüsten bis nach Chile erstrecken, ist Arequipa mit fast ganzjährigem Sonnenschein gesegnet. Dazu kommt eine märchenhafte Altstadt, in deren unmittelbarer Nähe sich auch unser Hostel befindet.

Wir lernen viele neue Leute kennen und schon bald bildet sich ein Vierergespann aus dem charmanten Schweizer Vincent, dem verrückten, aber total liebenswerten Amerikaner Diego und uns zwei Hübschen.

„Neben den eigentlichen Aufgaben, sollt ihr mit den Gästen quatschen und ihnen eine tolle Zeit bescheren“, hat unsere Chefin am ersten Tag gesagt. Haben wir auch gemacht. Und um allen eine schöne Zeit zu bescheren, wurde auch die ein oder andere Hostelregel gebeugt. Wer nett fragt bekommt einen Eierkuchen mehr, anstatt teures Bier an der Bar zu kaufen, schmuggeln wir fleißig Billigbier von draußen und auch das abendliche Kochverbot nehmen wir nicht ganz so genau. Der Plan geht auf. Aus zwei ursprünglich geplanten Tagen unserer beiden neuen Freunde, werden fast eineinhalb Wochen.

Die Zeit vertreiben wir uns mit amerikanischen Bierpong, vielen

Dummheiten und auch Bergsteigen. Während ich zwar auch mit den stattlichen Vulkanen liebäugle, aber zu viel Schiss habe, kommt Vincent mit ziemlich konkreten Plänen daher. Der 5800 Meter hohe und lehrbuchhafte Vulkan Misti soll es sein. Und kurzerhand kommen Diego und ich mit, auf das für uns erste Bergsteigeabenteuer. Da wir aber eigentlich Arbeiten müssen, heißt das für Adina Doppelschichten schieben, wofür ich ihr sehr dankbar bin.

So geht es am Morgen los zum Einkleiden. Neben vernünftigen Stiefeln gibt es Schlafsäcke, Zelte sowie Winterkleidung und Steigeisen und so langsam bekommen wir richtig Respekt vor dem anstehenden Abenteuer. Voll ausgerüstet geht es in den Jeep, der uns aus der Stadt bringt. Vom Plateau, auf dem Arequipa liegt, geht es an den Rand des Vulkans auf 3400 Meter. Ab hier sind nun unsere Beine gefragt. Die ersten Schritte sind mühsam. Schwer bepackt und nicht an das Schufften in dieser Höhe gewöhnt, fällt jeder Schritt schwer. Doch wir finden unseren Rhythmus und bewältigen Meter für Meter. Es geht vorbei an tiefen Schluchten, Geröll sowie Aschefeldern und die Natur scheint sich mit jedem Schritt Richtung Himmel zu ändern. Schließlich passieren wir die Baumgrenze und der Vulkan zeigt sich immer unwirklicher. Immer wieder stößt der schneebedeckte Gipfel durch die Wolkendecke und raubt uns buchstäblich den Atem.



Am späten Nachmittag erreichen wir schließlich das Basislager auf 4500 Metern. Wir verschnaufen, bauen die Zelte auf und genießen den Anblick ins 2000 Meter weiter unten liegende Tal. Dann zieht sich der Himmel zu und wir stehen direkt darüber. Wie die Götter im Olymp, blicken wir auf ein Meer aus Wolken. Millionen von Wattekugeln schmiegen sich an den Hang des Vulkans, verschlucken immer größere Teile von ihm, wie die ansteigende Flut den Strand verschwinden lässt. Die untergehende Sonne taucht das Ganze dazu in ein wunderschönes Spiel aus Licht und Schatten und wir fühlen uns plötzlich ganz klein, sprachlos von den Gewalten der Natur, die uns hier ein ganz besonderes Schauspiel zeigen. Alleine für diesen Anblick haben sich all die körperlichen Mühen gelohnt.

Mit dem Verblassen der letzten Sonnenstrahlen ist es plötzlich bitterkalt und schlagartig weißt uns der majestätische Berg unseren Platz zu und wir fühlen uns abermals klein. Während noch kurz vorher romantisch verklärte Gedanken vom Schlafen über den Wolken durch unsere Köpfe huschten, holt uns schlagartig die Realität wieder ein. Wir zittern am ganzen Körper und verkriechen uns schließlich in unsere Zelte, in der Hoffnung dort ein wenig Wärme und Geborgenheit zu finden. Doch die Kälte bahnt sich ununterbrochen ihren Weg in jede Zelle des Körpers. Nach einer viel zu kurzen Nacht klingelt um halb 1 der Wecker. Steif gefroren kriechen wir aus den Zelten, für eine kleine Stärkung vor dem Aufstieg. Es gibt Cocatee gegen die Auswirkungen der Höhe, den man aufgrund der herrschenden Kälte schon nach wenigen Minuten bedenkenlos trinken kann. Dann ist es Zeit für den Aufstieg. Im Gänsemarsch und mit Kopflampen bewaffnet geht es hinaus in die Dunkelheit. Die Füße sind taub und die Beine schwer. Schnell schreit der Körper nach Pausen, doch jede Sekunde Stillstand lässt die Kälte zurück in den Körper kriechen. Also bleiben die Pausen kurz. Meter für Meter kämpfen wir uns dem Hang entgegen. Immer wieder rutschen wir auf der lockeren Vulkanasche ab und werden quälende Zentimeter zurück geworfen. Aschefelder wechseln sich mit schweißtreibenden Felsvorsprüngen ab, die man nur kletternd bewältigen kann. Immer kürzer werden die Etappen, in denen man vorwärts kommt. Jeder Schritt kostet mittlerweile einen Atemzug und neben der Kälte umklammert nun auch die Höhe den Körper. Übelkeit, Kopf- und Gliederschmerzen machen jeden Schritt zur Qual und schließlich brechen Vincent und ich auf 5300 Metern ab. Der Berg hat uns besiegt. Wir geben den Guide bescheid, der schüttelt uns die Hand und wünscht uns einen erfolgreichen Abstieg zurück ins Basislager. Dort hat er eine Kopflampe befestigt, um das Lager in der Dunkelheit wieder zu finden. Wir drehen uns also um und erspähen ein winziges Licht in der Schwärze der Nacht, fast 1000 Meter unter uns. Ich habe noch nie etwas deprimierenderes gesehen. Mühsam quälen wir uns nach unten, doch das winzige Licht kommt einfach nicht näher. Während wir über fünf Stunden für den Aufstieg gebraucht haben, benötigen wir noch einmal fast genauso viel für den Abstieg, während der ganze Körper schreit. Schließlich erreichen wir das Lager bei strahlenden Sonnenschein und fallen sofort ins Zelt.



12 Stunden nachdem wir nachts aufgebrochen sind, kommen schließlich die drei zurück, die den Berg bezwungen haben. Mit dabei Diego, der noch am ersten Tag eine lustige Zigarette nach der anderen geraucht hat und dem nicht mal der Aufstieg zum Basislager prophezeit wurde. Eine Stunde haben die drei Zeit, die müden Muskeln zu schonen und das Erlebte zu verarbeiten. Die Kanadierin musste ebenfalls über den Verlust ihrer Kamera hinweg kommen, die ihr wenige Meter vor dem Gipfel aus der Hand rutschte und in die endlose Tiefe fiel.

Danach ging es noch einmal 1000 Meter hinunter und ich kann mir kaum vorstellen, wie qualvoll jeder Schritt für die drei gewesen sein musste. Schließlich kommen wir, 16 Stunden nachdem wir die Bezwingung des Bergs in Angriff genommen haben, am Abholpunkt an.

Hat sich all das gelohnt? Nun ja, 10 Abenteurer haben es versucht, vier davon haben den Gipfel erreicht. 10 Abenteurer sind fix und fertig, aber alle 10 strahlen über das gesamt Gesicht. Die meisten sagen, dass alleine der Anblick des Sonnenuntergang alle Strapazen wert war , dazu kommt die Erfahrung den Körper an die Grenze gebracht zu haben und bei den drei Glücklichen natürlich das Gefühl, es geschafft zu haben.

Würde ich es wieder tun? All zu bald auf jeden Fall nicht. Eine professionelle Bergsteigerkarriere wird sich wohl daraus nicht entwickeln. Aber es ist auch noch genug Zeit im Leben, um einmal so einen Gipfel zu bezwingen.

Und hier noch ein paar Zahlen und Daten um sich das Scheitern schön zu reden:


  • Der Mont Blanc, höchster Berg der Alpen und gleichzeitig Europas, ist 4810 Meter hoch. Den hätten wir theoretisch locker geschafft.

  • Das Kleinflugzeug mit dem ich letztes Jahr geflogen bin und die Aussicht genießen konnte, hat eine maximale Flughöhe von 4000 Metern und hätte es somit nicht mal bis zum Basislager geschafft. Mensch besiegt Maschine, sozusagen.

 

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