Auf Regen folgt Sonnenschein
März 2017, Lima, Peru
Es ist früh am Morgen in Loja, im Süden Ecuadors und ich liege mit Bauchschmerzen und den üblichen Begleiterscheinungen im Bett. Das ist nicht nur wegen des allgemeinen Wohlbefindens doof, sondern auch weil wir eigentlich weiter Richtung Peru wollten. Zu allem Überfluss gibt’s oben drauf auch noch schlechte Nachrichten auf Facebook. Anhaltender Regen und Überschwemmungen haben weite Teile Nordperus komplett lahmgelegt, viele Straßen sind unpassierbar. Unsere Pläne scheinen damit ganz ins Wasser gefallen zu sein. Doch bevor wir den Kopf in den Sand stecken, heißt es erstmal eine zweite Meinung einholen. Ein pinke Pille später geht es mir auch schon wieder besser und wir beginnen zu recherchieren. Das Internet ist wie immer geteilter Meinung, doch man ist sich einig, dass es schlimm ist, sehr schlimm. Für uns war ursprünglich nur interessant zu wissen, ob man von Norden nach Süden durchs Land kommt, doch nun machen sich generelle Zweifel breit. Durch ein Katastrophengebiet wollen wir nicht fahren, Geschweige denn dort Urlaub machen, wo andere um ihre Existenz fürchten. Also im Zweifel Fliegen. Doch nach einem Blick auf die Flugpreise sind schlagartig die Bauchschmerzen wieder da. Wir schnappen uns ein Taxi und lassen uns zum Busbahnhof fahren. Wenn einer über die Situation Bescheid weiß, dann die Busse, die dort tagtäglich lang fahren. Und tatsächlich, die Dame am Schalter bestätigt uns: „Alles kein Problem, die Busse fahren.“ Wir trauen der Sache nicht ganz, wollen eine zweite Meinung, am besten von jemanden, der kein Geld mit einer positiven Auskunft verdient. Also zur Information. Und auch hier gibt es die gleiche Auskunft. „Alles halb so wild, ihr könnt ruhig ein Ticket kaufen.“
Zurück im Hostel wiegen wir unsere Optionen ab und entscheiden uns schließlich für die Busfahrt. Doch wir sind uns auch einig, dass wir vom Norden Perus sofort weiter wollen, raus aus der Gefahrenzone. So entschließen wir uns für Lima, was weit genug im Süden liegt. Doch auch hier stellt sich sofort wieder die Frage nach der Passierbarkeit der Straßen. Da es in Ecuador keine Busunternehmen gibt, die direkt die Hauptstadt des Nachbarlandes ansteuern, bleibt uns nur das Internet. Wir checken die Routen von unserem ersten Stopp in Peru weiter nach Lima und finden ein paar Verbindungen. Wir kombinieren die Fakten und kommen zu dem trügerischen Schluss, dass solange noch Tickets für bestimmte Routen verkauft werden, die Busse dort auch fahren werden. Ein schwerer Fehler, wie sich später noch zeigt.
Mit Tickets für zwei Nachtfahrten hintereinander steigen wir am Abend in den ersten Bus und erreichen in der Nacht die Grenze. Ein paar Stunden später sind wir dann schließlich ohne weitere Vorfälle in Piura, unserer ersten Endhaltestelle. Von hier soll sechs Stunden später unser Bus nach Lima fahren. Die Strapazen der Nacht stecken uns noch in den Knochen. Also sammeln wir uns erst einmal kurz und versuchen die Rufe der Taxifahrer, für einen kurzen Augenblick auszublenden.
Die Auswirkungen des Regens sind offensichtlich. Hier und da eine riesen Pfütze, dort drüben eine überschwemmte Straße und unzählige Gummistiefel an aufgeregt umher laufenden Füßen.
Wir fragen nach dem Busbahnhof für unseren Anschlussbus und bekommen die Auskunft, die wir die ganze Zeit im Hinterkopf hatten: „Keine Busse von hier nach Süden. Kein durchkommen. Unmöglich. Endhaltestelle.“ Schlagartig sind wir wach und sofort rattern sämtliche Optionen durch unsere Köpfe. Wir lassen uns zum Büro von Cruz del Sur fahren, die haben uns schließlich das Ticket nach Lima verkauft und werden ja wohl auch eine Lösung haben. Doch auch hier die gleiche niederschmetternde Auskunft. Kein Weiterkommen! Seit Tagen nicht und niemand weiß wann es besser wird. Vielleicht morgen, vielleicht nächste Woche, vielleicht nächsten Monat. Die Frechheit dabei ist nur, dass die Straße schon seit Tagen nicht mehr befahrbar ist, wir aber dennoch Tickets für die Strecke bekommen haben. Selbstverständlich haben die Menschen hier gerade andere Probleme, als Touristen sorglos von A nach B zu bringen. Und angesichts des Leid, welches den Menschen hier wiederfährt, mögen diese Sätze ziemlich egoistisch klingen. Aber auch wir sind nur Menschen und waren in dem Moment einfach stinksauer.
Also fahren wir zum Flughafen und sind bei weitem nicht die einzigen. „Des einen Glück ist des anderen Leid“, sagt man ja so schön und in diesem Fall machen gerade die Airlines den Reibach ihres Lebens.
Wir werden zu einem Mann geschickt, der mitten im Gewirr steht. Büros der einzelnen Airlines gibt es nicht, deshalb müssen wir ihn fragen. Sehr dubiose Situation und der Preis macht es auch nicht gerade besser. Wir lehnen dankend ab und versuchen es auf eigene Faust. In einem Restaurant bestellen wir überteuerten Flughafenkaffee und stellen fest, dass das Internet nicht geht. Wir trinken aus und probieren es woanders. Im zweiten (und damit letzten Kaffee des Flughafens) bestellen wir überteuerte Flughafensandwiches und müssen auch hier feststellen, dass das Internet nicht funktioniert. Wir bleiben jedoch hartnäckig und bekommen irgendwann den ersehnten Verbindungsaufbau. Das Resultat ist jedoch ernüchternd. Viele Preise scheinen veraltet zu sein oder sind nicht mehr abrufbar. Die IT-Administratoren der Airlines waren dem Ansturm scheinbar nicht gewachsen. Totales Chaos auch im Internet. Einen Flug finden wir hier jedenfalls nicht. Bleibt also nur noch der Herr, der immer noch in der Eingangshalle des Flughafens steht. Wir gehen zu ihm und er telefoniert kurzerhand mit jemandem. Nach einem kurzen Hin und Her mit seinem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung, bietet er uns zwei Flüge an, noch heute Abend für 200$. Misstrauisch, jedoch um sämtliche weitere Optionen beraubt, willigen wir ein und fragen uns, wie das wohl weitergehen wird. Dann legt der Mann auf, läuft los und bedeutet uns ihm zu folgen. Wir verlassen den Flughafen, laufen über den Parkplatz und erreichen schließlich eine Straße weiter, eine Reihe von kleinen Häuschen. Reisebüros, wahrscheinlich weil diese nicht in den winzigen Airport passen. Beruhigt über die nun doch recht normale Szenerie, buchen wir unser Ticket.
13 Stunden später-natürlich hat der Flug Verspätung-steigen wir ins Flugzeug. Im Vorfeld konnten wir arrangieren, bereits einen Tag früher bei unserer Gastgeberin aufzuschlagen. Sie hat uns sogar jemanden organisiert, der uns vom Flughafen abholt. Und mit jeder weiteren Minute Verspätung, steigt die Angst, dass unser Taxi am Ende doch schon auf und davon ist.
Doch am Ende klappt wie immer irgendwie alles und 26 Stunden nachdem wir in den Bus in Ecuador gestiegen sind, liegen wir endlich im Bett und ich bin erst mal vier Tage lang krank.
Lima ist daher ziemlich an mir vorbeigezogen, aber Adina hatte ein paar schöne Tage am Pool. Denn die Wohnung unsere Gastgeberin und Victoria selbst waren echt top.
Nach fünf Tagen Lima, machen wir uns schließlich auf den Weg nach Süden. Zu unserer rechten erstreckt sich der Pazifik und zu unsere linken schichten sich Tonnen von Sand zu riesigen Dünen auf. Mit dem Blick aus dem Fenster kommen wir nicht drumrum, eine gewisse Ironie festzustellen. Während ein paar hundert Kilometer weiter im Norden Menschen ertrinken und ganze Dörfer überschwemmt werden, hat es hier seit Jahren nicht geregnet. Und so ist es die Wüstenlandschaft am Pazifik, die den Charme Paracas´ ausmacht. Hier machen wir eine Fahrradtour durch trockene Einöde und einen Bootsausflug zu den Islas Ballestas, die Gallapagosinseln für Arme. Diese überzeugen nur eine halbe Stunde vom Festland entfernt, mit wilden Seelöwen, Pinguinen und Millionen von Vögeln.
Unser wahres Highlight in Paracas ist jedoch der Brasilianer José, der uns in der Wüste aufgegabelt hat. Nur ein paar Sekunden nach dem ersten „Hallo“, waren schon unsere Fahrräder in seinem Kofferraum verstaut und wir auf dem Weg zur nächsten Kneipe. José hat seine eigene Fernsehsendung im brasilianischen Discovery Channel und bereist in diesem Rahmen verrückte Orte auf der Welt. Eine kleine Berühmtheit also. Dazu besitzen seine Eltern eine der größten Farmen Brasiliens. Grund genug, zumindest für ihn, uns zum Bier und Essen einzuladen. So freunden wir uns an und José wechselt kurzerhand von seinem 200$ Zimmer zu uns ins Hostel. Glücklicherweise ist am Abend eine große Party in Paracas und wir gehen zusammen auf die Piste. Wir enden schließlich in einem feinen Restaurant, in das wir uns alleine wohl nie rein getraut hätten. Und auch hier übernimmt José die Rechnung. Diese ganze Großspurigkeit vollzieht er dabei, ohne auch nur ein bisschen großspurig zu sein. Mit ganz viel Charme hat er uns sofort eingewickelt und wir haben sozusagen unseren persönlichen Sugar-Daddy gefunden. Resultat des Tages: Wir haben gespeist wie die Könige und werden wohl nie wieder in unserem Leben so teuren Wein trinken.
Auf Pech folgt eben Glück und auf Regen, Sonnenschein.
Comments