Wellblech und Alkoholverbot
- Tim Evers
- vor 6 Tagen
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Aktualisiert: vor 3 Tagen
Isla Holbox, 03.Juni 2025
Unser Fahrrad klappert gemütlich über die staubigen und mit Schlaglöchern übersähen Sandpisten der kleinen Insel, während zwei Blocks weiter die Sonne im karibischen Meer versinkt und endlich etwas Abkühlung zulässt. Die letzten Tage waren extrem heiß und unsere Hauptbeschäftigung bestand darin auszuprobieren, in welcher Hängematte es sich am besten schaukeln lässt. Doch wir brauchen Milch und Eier und müssen deswegen unsere von den Hängematten krumm gelegenen und faulen Körper doch noch mal hochbewegen.
Wir fahren den erst besten Tante-Emma-Laden an und während sich über uns die Wolken bunt färben, setze ich gedanklich auch noch zwei Dosen Bier auf meine mentale Einkaufsliste, schließlich war heute ein guter Tag. Es ist die blaue Hängematte direkt neben dem Eingang, in der es sich am besten faulenzen lässt.
Wir betreten den kleinen Laden, finden Eier und Milch und steuern dann zielstrebig auf die großen Kühlschränke zu, um dann enttäuscht festzustellen, dass diese verschlossen sind. Es hängt ein handgeschriebener Zettel davor, dem ich entnehme, dass der Verkauf von Alkohol für zwei Tage verboten sei. Der Grund erschließt sich mir nicht ganz. Scheinbar hat es mit irgendeiner Wahl zu tun, für mehr reicht mein holpriges Spanisch aber nicht. Ich probiere noch zwei andere Läden, finde aber auch dort nur abgeschlossene Kühlregale und Zettel mit ähnlichen Wortlauten vor. Schließlich fahren wir zurück zum Hostel.
Dort treffe ich Miguel und seine Frau. Die beiden Fast-Rentner kommen aus Veracruz und sind gerade für 12 Tage im Urlaub an Mexikos Karibikküste. Miguel hat für ein paar Jahre in Texas gearbeitet und spricht ganz passables Englisch. Ich frage, was es mit dem Alkoholverbot auf sich hat und Miguel antwortet, dass morgen im ganzen Land die Richter_innen neu gewählt werden.
Die direkte Wahl der Richter ist einzigartig in Mexiko, wie ich später bei einer Recherche herausfinde. Doch die Mexikaner scheren sich nicht darum, Wahlbeteiligung 13%. Vielleicht wären ja mehr hingegangen, hätte man die Leute nicht schon zwei Tage vorher vom Saufen abgehalten?
Doch scheinbar machen sich die Mexikaner eh nicht so viel aus Wahlen, wie mir Hagen ein paar Wochen vorher erzählt.
Wir sind im äußersten Süden Mexikos, im Bundesstaat Chiapas und essen eine Pizza bei Hagen. Hagen kommt aus Sachsen, hat eine mexikanische Frau und lebt sei gut 15 Jahren in Mexiko. Auch in Chiapas seien vor einer Weile irgendwelche Kommunalämter neu vergeben worden und vor ein paar Tagen hat ein LKW eine Ladung Wellblech für den örtlichen Wahlbezirk abgeladen. „So wird hier Politik gemacht“, erklärt Hagen. Im Vorfeld reisen die Kandidaten und ihre Teams durch die Wahlbezirke und erkundigen sich bei den Leuten nach ihren Sorgen und Wünschen. Dabei ginge es jedoch weniger um politische Inhalte, sondern um Fernseher, Säcke voller Bohnen oder Baustoffe. Die Bürger schreiben einen Wunschzettel und der Weihnachtsmann in Gestalt eines mexikanischen Kommunalpolitikers verspricht mindestens einen Wunsch davon zu erfüllen, wenn die Leute artig ihr Kreuz an der richtigen Stelle setzen. Der Kandidat mit dem glaubwürdigsten Portemonnaie gewinnt und in diesem Jahr gab es eben Wellblech für alle. Mir fällt in diesem Zusammenhang ein Satz wieder ein, den ich irgendwo mal in einem Buch über Mexiko gelesen habe. Es ging um das politische System und die überall grassierende Korruption und dass es den Mexikanern letzten Endes egal sei, von wem sie schlecht regiert werden, lebten sie doch in der selbsterfahrenen Gewissheit, dass sich daran durch Wahlen nicht ändert werde. Gesamtgesellschaftliche Apathie. Man kann es wohl auch in die 13% Wahlbeteiligung bei der jüngsten landesweiten Richterwahl hineininterpretieren, denn die mexikanischen Gerichte sind gemeinhin nicht weniger korrupt als die mexikanischen Politiker. Vielleicht gibt es bei der nächsten Richterwahl ja auch Wellblech und Fernseher?
Miguel und seine Frau zählen jedenfalls auch zu den 87% Nichtwählern. Sein Frau hat sich stattdessen herzhaft über das Alkoholverbot aufgeregt. Letztendlich umsonst. Denn natürlich bekommen wir noch unser Bier, dank der mexikanischen Korruption.
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