Von der Bohne in die Tasse
Aktualisiert: 23. Feb.
Es ist Samstag Morgen, 8.00 Uhr. Wir sitzen beim Frühstück in einem kleinen Hotel in Jinotega, im Hochland Nicaraguas. Wir starten den Tag, passender Weise – und wie könnte es anders sein – bei einer Tasse Kaffee. Wie viele Leute für dieses morgendliche Ritual arbeiten müssen, werden wir heute erfahren und jeden einzelnen Schluck dieses Kaffees noch zu schätzen lernen. Denn wir sind hier, um einen kleinen Imagefilm und Werbefotos einer Kaffeeplantage aufzunehmen. Den Auftrag erhielten Tim und Daniela von einer amerikanischen Kaffeehandelsfirma.
Um 9.00 Uhr werden wir von Senior Joréz abgeholt und fahren zur Plantage, hoch oben in den Bergen Jinotegas. Wir passieren einen Wachposten und befinden uns mit einem Mal mittendrin. Kaffeepflanze an Kaffeepflanze schmiegt sich aneinander, kilometerweit in jede Himmelsrichtung. Dazwischen Bananenpflanzen und andere Bäume, zum Ausgleich des Stoffgehalts im Boden, wie wir später erfahren werden. Grün, grün, grün, soweit das Auge reicht.
Nachdem wir mit unserem Auto eifrig Senior Joréz folgen, geben wir nach dem zweiten Berghang auf. Ohne Allrad kein Weiterkommen. So satteln wir um und steigen in den Pickup des freundlichen Kaffeefarmers. Wir sind zwei Leute zu viel und so müssen/dürfen wir auf der Ladefläche des Pickups weiter fahren. Aber halt Stopp, bevor es losgeht muss noch die dicke Knarre, die auf der Ladefläche spazieren gefahren wird, sicher verstaut werden. Ob diese für wilde Tiere oder wilde Banditen gedacht ist, wissen wir nicht ganz genau. Über Stock und Stein fahren wir zu einem Areal auf der Plantage, auf dem gerade geerntet wird. Auf den halbwegs geraden Flächen werden Frauen zum Pflücken der Kirschen eingesetzt. Die Männer ernten an den schwierig zu erreichenden Berghängen, wird uns erklärt. Außerdem beschäftigt Senior Joréz auch körperlich Behinderte. Diese werden den Frauen zugeteilt. Nicht nur aufgrund der einfacheren Erntebedingungen, sondern auch damit sie nicht von den Männern beklaut werden. Denn entlohnt wird pro Kilo und die männlichen Pflücker neigen deutlich öfter zu kriminellen Handlungen gegenüber benachteiligten Kollegen als Frauen, wird uns erzählt.
Jede Kaffeepflanze wird mehrmals im Jahr geerntet. Dabei werden stets nur die reifsten Kirschen gepflügt. Das alles geschieht in Handarbeit. Aufgrund der dichten Bepflanzung und der Lage in den Bergen ist der Einsatz von Maschinen hier nicht möglich. Selbst der Transport der Kirschen erfolgt größtenteils zu Fuß. Erst an Sammelstellen, die für LKWs zugänglich sind, werden die Kaffeesäcke weiter zur Fabrik transportiert.
Wir steigen wieder auf und fahren weiter. Insgesamt 500 ha Land besitzt Senior Jorez. 25 Kilometer Weg durchziehen seine Plantagen. Neben der Finca und der Fabrik gibt’s eine große Küche, ein Waschhaus, ja ganze Dörfer. Sogar eine Schule hat es einmal gegeben. Denn so ein Kaffeebaron ist viel mehr, als ein großer Arbeitgeber. Mit Sozialleistungen, Wohnraum und Infrastruktur, kümmert er sich um das Wohl seiner Arbeiter. Und auch wenn die Behausungen sehr ärmlich wirken, ist das mehr als das, was die Menschen ohne den Kaffee hätten. Wir glauben die Geschichte. Oft genug sehen wir ein Lächeln auf den Lippen, wenn sich Plantagenbesitzer und einfacher Arbeiter begegnen. Die Arbeit ist hart, der Lohn gering und dennoch wirkt das Verhältnis freundlich. Das ist uns Beweis genug.
Wir erreichen die Fabrik. In großen Behältern werden die gepflückten Kirschen ein paar Tage gelagert. Hier Fermentieren sie, bevor sie in der Fabrik von ihrer Hülle befreit und gewaschen werden. Das alles passiert mit über 100 Jahre alten, deutschen Maschinen. Entkernung, Waschvorgang, Transport, alles geschieht mithilfe von Wasser. Daher kommt wohl auch die Aussage, das für eine einzige Tasse Kaffee 140 Liter Wasser verbraucht werden. Unser Eindruck stützt die Vermutung. Doch Senior Joréz recycelt sein Wasser, um den Verbrauch möglichst gering zu halten. Die gewaschenen Bohnen werden über große Wasserleitungen zu einem Sammelplatz transportiert. Schon hier hört der technische Fortschritt wieder auf und es werden erneut viele helfende Hände gebraucht, um die Bohnen zu transportieren, zu verpacken und zu verladen.
Mit der gewaschenen Bohne endet die Arbeit auf der Finca. Getrocknet und geröstet wird die Bohne woanders. Dafür ist die Farm von Senior Joréz zu schattig.
Auch wir verlassen die Fabrik und besteigen erneut unser Gefährt. Ein letztes Mal soll es auf die Plantage gehen. Ein schöner Aussichtspunkt wird angesteuert. Und in der Tat, der Blick hinab vom Berg ins grüne Tal ist atemberaubend. Doch wieder einmal sind es die Menschen, die uns mehr begeistern. Auf dem Weg zum Aussichtspunkt kommen wir an einer großen Menschenmenge vorbei, die den Weg versperrt. Es ist früher Nachmittag, Essenszeit. Die Arbeiter stellen sich an, um umgerechnet für ein paar Cent Reis mit Bohnen zu bekommen. Serviert wird aus zwei großen Eimern, gegessen wird mit dem, was man gerade so zur Hand hat. Wir steigen aus, sehen uns um. Wir werden beäugt, denn wie immer fallen wir auf.
Nach kurzen neugierigen Blicken, geht jeder wieder seiner Tätigkeit nach. Man setzt sich auf den Boden, isst aus einer alten Plastiktasse Reis mit Bohnen, unterhält sich, lacht. Und wieder einmal begegnen uns schwere, entbehrliche Leben und Lebensmut und Freude.
Wir verlassen die Plantage, rekapitulieren das Erlebte. Ich stelle mir vor, wie es für die Kaffeebohne weitergeht. Wieder viele, viele Hände, die für wenig Geld viel, viel arbeiten, um die Bohnen zu trocknen und zu rösten. Schließlich die fertige Bohne, die verpackt und verladen wird. Mithilfe von Maschinen? Man weiß es nicht. Weiter geht’s in riesigen Containern, einmal um die halbe Welt. Entladen, Transportieren, Verkaufen. Auf dieser Seite der Welt mit weniger Händen, die dafür aber viel, viel mehr bekommen. Schließlich Ich, der morgens früh aufsteht und sich eine Tasse kocht und in Zukunft jeden einzelnen Schluck zu schätzen weiß.
Wir halten an, ich werde aus meinen Gedanken gerissen. Wir stehen vor der alten Finker von Senor Jeréz. Hier soll das Interview gedreht werden. Aber vorher wird gegessen. Wir werden köstlich bewirtet. Es gibt gegrilltes Lamm, dazu viel Bier und Rum. Auch der Sohn des Chefs ist da, beide sollen sie im Film zu Wort kommen. Und beide scheinen ihrer Nervosität mit Rum bekämpfen zu wollen. Das Interview ist vorbei, Rum wird jedoch immer noch getrunken, diesmal vor Freude und Geselligkeit, vielleicht auch aus Gewohnheit. Wir sitzen gemütlich am Tisch. Ich frage die beiden Männer nach ihrer Geschichte und bekomme bewegende Antworten. Seid 150 Jahren ist die Plantage in Familienbesitz. Sechs Generationen wurden hier groß und gaben ihr Wissen an ihre Nachkommen weiter. Senor Jeréz bekommt die Farm in 5. Generation. Es ist 1980 und in Nicaragua tobt der Bürgerkrieg. Senor Jeréz muss seine Familie beschützen, muss überleben. Doch Fliehen und die Farm verlieren ist keine Lösung. Die Familie bleibt, kämpft und schafft es den Krieg zu überstehen. Doch mit Beendigung des Krieges, wird es noch schlimmer. Im Land herrscht Anarchie und Chaos, tausende Waffen sind im Land, tausende Menschen sind vergrämt von Leid und Entbehrung und nehmen sich nun was sie wollen. Insgesamt drei mal wird Seneor Jeréz entführt. Bewaffnete Banden wollen ihm seine Farm nehmen. Mit Geld und Waffengewalt schafft er es jedoch sie zu beschützen. Er hat gekämpft, für das was ihm gehört, gekämpft für das Vermächtnis seiner Ahnen und die Zukunft seiner Söhne. Gekämpft auch für all die Familien, die auf seinen Plantagen leben und Arbeiten. Es ist diese Geschichte, die in seinen Augen glüht, wenn er über die Weiten seiner Plantage geht und seine Arbeiter mit einem Lächeln grüßt.
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