Im Land der guten Geister
Koh Samui, Thailand, 13.09.2024
Man findet sie überall in Thailand, vor Supermärkten, Restaurants, Banken, Hotels und Wohnhäusern und je nach Wohlstand sind sie mal groß, mal klein, mal mehr, mal weniger reich verziert: Thailands Geisterhäuser. Was für uns wie aus der Zeit gefallen klingt, ist in der thailändischen Kultur tief verwurzelt. Hier glauben die Menschen daran, dass jedes Stück Land von einem Geist bewohnt wird. Bauen die Menschen ein Haus auf diesem Land, müssen sie dafür sorgen, dass der Geist ein neues zuhause bekommt und ihn gebührend ehren und besänftigen, andernfalls lebt er zusammen mit den Menschen und stiftet dort seinen Unfrieden. So kommt es, dass vor nahezu jedem Haus in Thailand ein kleines Geisterhäuschen steht. Sie sind meist leicht erhöht auf einem Sockel erbaut und erinnern europäische Betrachter damit am ehesten an ein überdimensioniertes, sehr gut gemeintes Vogelhaus. Doch der Vergleich hinkt, denn die thailändischen Geisterhäuser haben nur wenig mit der europäischen Blockhausarchitektur gemein.
Und auch die Inneneinrichtung kann sich sehen lassen. Als Faustregel gilt: was Mensch gefällt, gefällt Geistern auch und so finden sich ganze Möbelzeilen in den vier Wänden der Geister. Noch viel auffälliger sind die reichen Opfergaben. Blumenschmuck, Räucherstäbchen, Früchte, Reis und die ein oder andere Coladose sollen für das leibliche Wohl des Geistes sorgen. Ist dieser besänftigt, legt er sich nämlich ordentlich für die Hausbewohner ins Zeug und beschützt diese vor dem Bösen.
In diesem faszinierenden und tollen Brauch steckt damit ein bisschen was von dieser „Behandele andere wie du selbst gern behandelt werden möchtest“-Philosophie und ein vermeintlich jähzorniger Dämon wird damit zu einem guten Geist, wenn man denn nur ordentlich mit ihm umgeht.
Ein Prinzip, was man auch bei Thailands anderen guten Geistern erleben kann. Sie sind ebenfalls unsichtbar, doch werden sie gebraucht, treten sie in Erscheinung. Ihre Geisterhäuschen stehen an verlassenen Parkplätzen, vor Hoteleingängen, an Zebrastreifen und einsamen Stränden. So wie unser Geisterhaus: eine mit pinker Neon-Reklame bestückte Wechselstube an der Crystal Bay.
In diesem 2x2-Meter Betonkasten sitzt Tag für Tag ein von seiner Umwelt durch eine Panzerglasscheibe hermetisch abgeriegelter Mann, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang und wartet darauf, dass irgendjemand Geld wechseln will. Und das mitten am Strand. Die meiste Zeit des Tages starrt er ausdruckslos auf das Smartphone in seinen Händen, 10 Stunden am Tag. Doch manchmal blickt er auf - und schaut man dann nicht peinlich berührt und beim Anstarren erwischt nach unten, sondern hält den Blick und grinst - so wird dies mit einem strahlenden Lächeln erwidert. Ein Lächeln, so berühmt für dieses Land, wie seine Geisterhäuser. Und so strahlt es einem aus heruntergekommenen Holzhütten auf einsamen Parkplätzen und grauen Wellblechverschlägen an vielbefahrenen Straßen von Thailands guten Geistern entgegen. Menschen die oftmals Arbeiten nachgehen, die zuhause abschätzig belächelt werden. Und auch ich erwische mich dabei, als ich über die leuchtende Wechselstube an unserem einsamen Strand stolpere. Doch statt den anderen vorzuverurteilen, lächeln wir uns beide an.
Und es ist genau diese positive, respektvolle Geste, mit der sich die Menschen in Thailand genseitig begegnen und die aus bösen Geistern gute macht.
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