Feiertag auf der Insel der Götter
Aktualisiert: 11. Juni
September 2014, Bali, Indonesien
Das saftige Grün des balinesischen Hinterlandes zieht an uns vorbei, als sich ein metallisches Klingen in das Dröhnen unseres 125-Kubik-Motors mischt. Ganz leise und dezent, mehr eine Ahnung als ein richtiges Klingen, entwickelt es sich zu einer interessanten Geräuschkulisse. Immer wieder nehme ich die Hand vom Gas, um zu lauschen, die Geräusche zu orten, als wir um eine große Kurve fahren und alles Raten überflüssig wird: Vor uns zieht eine riesige Menschenmenge die Straße entlang, in prächtige Farben gehüllt und von exotischen Klängen begleitet. Wir stellen das Moped ab und beobachten die interessante Prozession. Lange bleiben wir nicht unbemerkt. Schnell winken uns die Leute heran und die ersten Worte werden gewechselt. Niemand versteht etwas und unser Gesprächspartner verschwindet für einen Moment, bevor er mit einem jungen Mann wieder auftaucht. Der Neuankömmling stellt sich auf Englisch vor und wir beginnen neugierig zu fragen. Wayan erklärt, dass sein Dorf auf dem Weg zum nahe gelegenen Strand sei. Heute Nacht sei ein besonderer Tag, der erste Vollmond im September gehe über der Insel der Götter auf. Ein wichtiger Tag im Kalender der balinesischen Hindus, die fast jeden Tag einen spirituellen Anlass zum Feiern haben. Heute also Vollmond im September und damit Badetag für die zahlreichen Schutzgötter des kleinen Dorfes und gleichzeitig eine gute Gelegenheit, auch die eigene sündige Seele rein zu waschen. Gespannt lauschen wir den Ausführungen unseres Gesprächspartners und lassen unseren Blick über die Menge schweifen. Gut 100 Menschen vor und hinter uns schlängeln sich dicht gedrängt und fröhlich plaudernd den Weg hinunter zum Meer. Die Frauen und Männer tragen den traditionellen indonesischen Sarong. Ein buntes, um Beine und Hüften geschlungenes Tuch, das vor allem zu festlichen und religiösen Anlässen getragen wird, dazu das typisch balinesische Kopftuch und ein weißes Oberteil. Ich schaue an mir herab. Meine Füße stecken in ausgelatschten Birkenstocks mit rostigen Schnallen, an den Beinen trage ich Shorts, die einzige für eine vierwöchige Reise durch Indonesien. Nur das weiße T-Shirt sieht recht passabel aus. Wayan registriert meinen Blick und schaut sich suchend um, als auch er, wie der Mann vor ihm, plötzlich in der Menge verschwindet, um kurz darauf mit einer weiteren Person wieder aufzutauchen. Er stellt uns kurz vor und bedeutet uns, den Neuankömmling zu begleiten. Dieser macht sofort auf dem Absatz kehrt und geht in die Richtung, aus der wir gekommen sind: zurück ins Dorf. Missmutig verabschieden wir uns. Es wäre auch zu schön gewesen, zwei europäische Langnasen bei einer religiösen Zeremonie, das Ganze in Birkenstock und schmutzigen kurzen Hosen. Nach kurzer Zeit erreichen wir das Dorf. Zielstrebig steuert der Mann eine kleine Hütte an, klopft an die Tür und eine schüchtern dreinblickende junge Frau öffnet. Ein paar Worte werden gewechselt. Dann werden wir hereingebeten. Die Frau verschwindet in einem anderen Raum, um kurz darauf mit zwei Sarongs zurückzukehren. Sofort machen sich die beiden an die Arbeit und im Nu sind Adina und ich eingekleidet. Ich strahle vor Glück, bin unglaublich dankbar für diese Gastfreundschaft und die Bereitschaft, ihre Kultur mit uns zu teilen. Gleichzeitig steigt dieser Charme in mir auf. Man stelle sich die gleiche Situation bei uns zu Hause vor: ein deutsches Dorf, irgendwo im tiefsten Bayern oder Sachsen, auf dem Weg zum Sonntagsgottesdienst, zwei staunende Indonesier an der Kreuzung. Wie würde die Situation hier wohl ausgehen?
Fertig angezogen machen wir uns auf den Weg zurück zum Strand. Etwas weiter die Straße hinunter wartet Wayan an einem riesigen, uralten Baum. Der Stamm des Baumes ist in prächtige Tücher gehüllt, während seine Krone mit Tausenden von rosafarbenen Blüten übersät ist. Diese blühen nur zu dieser besonderen Zeit, ein Zeichen der Götter, ein heiliger Baum.
Wir werden aufgefordert, eine der Blüten zu pflücken und es damit den Dorfbewohnern vor uns gleichzutun. Wir werden sie später brauchen, erklärt uns Wayan, als wir weitergehen. Als eine der Letzten erreichen wir nach etwa 15 Minuten den weitläufigen Strand. Bali ist vulkanischen Ursprungs, mit einem aktiven Vulkan in der Mitte. Deshalb entsprechen viele seiner Strände nicht dem typischen Reisekatalog-Klischee, sondern sind schwarz. Vor allem im weniger touristischen Nordwesten, wo wir uns gerade befinden. Nicht der schönste Strand also, den wir hier zu sehen bekommen, aber dem Gesamteindruck schadet es sicher nicht. Vor uns gut zweihundert weiße Flecken auf schwarzem Grund, die aufgeregt schnattern, während das Gamelan-Orchester dem Höhepunkt entgegenspielt. Wayan winkt uns zu sich und erklärt, dass wir ihm einfach alles nachmachen sollen. Dann ertönt ein Gongschlag und das für unsere Ohren so aufgeregt klingende Balinesisch wird leiser. Ein zweiter Gong, ein dritter. Die Gespräche verstummen und nur der metallische Klang des Gongs hallt noch nach, bevor er allmählich vom sanften Rauschen der Wellen verschluckt wird. Eine mystische Stille breitet sich aus. Fast synchron werden knapp 200 rosa Blüten aus diversen Jacken und Hemdtaschen gezogen und in die gefalteten Hände genommen. Dann wird gebetet und den Göttern gedankt, bevor nach und nach die Blütenblätter abgezupft und mit einem Wunsch oder Dank versehen, auf den Kopf gelegt werden. Alles geschieht in stiller Routine, und nur Wayan ist zu hören, wenn er auf Englisch erklärt. Dann, wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, stürzen sich die Menschen schreiend und jubelnd ins Wasser. Der letzte Teil der Zeremonie hat begonnen: die rituelle Reinigung. Das Gamelan-Orchester setzt wieder ein um den heimlichen Höhepunkt des Tages einzuleiten. Die prachtvoll geschmückten und mühsam zum Strand geschleppten Baren mit den symbolischen Gottheiten werden ans Wasser getragen. Plötzlich bricht Chaos aus. Wie im Wahn versuchen unzählige Männer die Sänftenträger mit den Gottheiten ins Wasser zu stoßen. Wayan beruhigt uns und erklärt, dass jedes Dorf eine Bare zum Strand getragen hat und nun die Dorfbewohner versuchen, die Sänfte des anderen Dorfes ins Wasser zu schieben. Wem das gelingt, dem sei ein glücklicher Monat vorhergesagt, bevor im nächsten Monat, beim nächsten Vollmond, die Revanche kommt oder ein anderer Feiertag schon früher Glück verspricht. Vielleicht ja schon morgen, denn auf der Insel der Götter ist jeder Tag ein Feiertag und wir durften wenigstens an einem teilnehmen.
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