Ein Gebot der Höflichkeit
Aktualisiert: 11. Juni
September 2014, Aceh-Provinz, Sumatra, Indonesien
Die kleine Nadel der Benzinstandsanzeige ist der Null schon bedächtigt nah. Auch meine bezaubernde Beifahrerin scheint diesen Umstand bemerkt zu haben, was sie mir mit dezent stärker werdenden Schlägen auf meinen Moppedhelm zu verstehen gibt. Doch ich bleibe stur. Irgendwo muss dieser verdammt Weg, hoch zum Krater des kleinen Vulkans doch sein. Ich weigere mich aufzugeben, doch dann gibt das Mopped für mich auf. Mit einem letzten großen Aufbegehren erstirbt das Geräusch des Motors und mit ihm unsere Fahrt. Wir sitzen fest, zwar mit einem schönen Blick auf den Vulkan aber am buchstäblichen Arsch der Heide und bis auf ein paar grasenden Schafen, niemand der uns helfen könnte. So vertreiben wir uns die Zeit im Schatten einer Palme damit uns gengenseitig Vorwürfen zu machen und bemerken gar nicht, dass sich schon kurze Zeit später zwei mit Macheten bewaffnete Männer nähern. In Deutschland würden wir uns vermutlich in die Hosen machen oder hätten schon längst das Weite gesucht. Doch hier und jetzt macht sich eine dieser Veränderungen breit, die sich auf längeren Reisen einstellt: Man findet sein Vertrauen in die Menschen zurück. Und so stehen wir auf, lächeln die zwei Männer an und zwei zahnlose Münder grinsen zurück. Auch ohne ein Wort des jeweils Anderen zu verstehen, begreifen die beiden Männer schnell unsere Situation und bedeuten uns ihnen zu folgen. Trotz unseres wiederentdeckten Vertrauens in die Menschheit, reicht Adinas Vertrauen nicht unser geliehenes Mopped zurück zu lassen. Sie entscheidet sich dort zu warten und einer der beiden Männer wartet mit. Mein Vertrauen jedoch reicht, um meine Frau und unser Mopped mit einem alten zahnlosen, mit Machete bewaffneten Mann alleine zulasse und so mache ich mich auf den Weg.
Auf einem geschwungenen Weg laufen wir etwa fünf Minuten den Hang hinab, bis wir ein in der Landschaft verstecktes Haus entdecken. Dort begrüßen mich sechs neugierige Augenpaare, die mich interessiert mustern und irgendwo zwischen 7 und 70 Jahre alt zu sein schein. Mein Begleiter schildert die Situation, dann löst sich eins der Augenpaare und besteigt mit einem großen Kanister ein Mopped. Es ist das jüngste Augenpaar.
Der alte Mann mit der Machete verabschiedet sich und ich mache Anstalten ihn zu begleiten, doch die Familie redet wild gestikulierend auf mich ein und bedeutet mir Platz zu nehmen. „Irgendwie unhöflich gegenüber Adina“, denke ich, „aber meinen Rettern gegenüber irgendwie auch.“ Und da die fünf verbliebenden Familienmitglieder eh wild entschlossen zu sein schein, mich auf keinen Fall gehen zu lassen und mein Magen knurrt, geben ich schließlich auf. Ich setzte mich, aus reiner Höflichkeit versteht sich, in eine schattige Ecke und kurz darauf werden Speisen und Getränke gereicht. Wir unterhalten uns mit Händen und Füßen. Der Tisch wird immer wieder aufgefüllt. Ich schlage mir den Bauch voll und vergesse schon fast Adina, die weiterhin mit dem zahnlosen Machetenmann in der prallen Sonne steht. Höflich sein ist wirklich schwer.
Nach ca. 20 Minuten kommt der Knirps mit dem Riesenkanister zurück. Ich bezahle das Benzin und bedanke mich mit unzähligen Verbeugungen und einem strahlenden Grinsen. Dann mache ich mich auf den fünfminütigen Rückweg zu meiner Liebsten. Für einen kurzen Augenblick bin ich der große Retter, dann tische ich ihr die gesamte Geschichte auf und mit jedem Wort falle ich weiter in ihrer Gunst. Auch meine Beteuerungen, dass es schlicht unhöflich gewesen sei, einfach zugehen, halfen da nicht viel. Was bleibt sind ein paar wertvolle Erkenntnisse:
Die besten Abenteuer geschehen, wenn man die ausgetreten Pfade verlässt (und einem dabei der Spritt ausgeht).
Hab Vertrauen in die Menschen, sei stets höflich und respektvoll und du wirst belohnt.
Lass deine Frau nie alleine in der Sonne stehen.
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