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Die Frühstücksschicht

  • Tim Evers
  • 29. Dez. 2024
  • 5 Min. Lesezeit

12.12.2024, Panglao, Philippinen

 

Kücheneingang
Kücheneingang

Die Stempeluhr zieht ratternd meine Zeitkarte durch den Schlitz. Es klickt zweimal, dann spuckt sie den Pappzettel  wieder aus.


Die frische Stempelfarbe zeigt 6:55 Uhr an.


Ich bin überpünktlich und der erste Teil meines so liebgewonnen Morgenrituals ist damit beendet. Ich öffne die kleine Holztür und mache einen großen Schritt über das große, chronisch, tropfende Abflussrohr, welches quer über dem Boden verläuft.  Dann betrete ich die kleine, schmuddelige Küche. Es wäre ein leichtes sich bereits an dieser Stelle hochnäsig und herablassend über fehlenden Arbeitsschutz und mangelnde Hygiene zu beklagen. Aber darum soll es in dieser Geschichte nicht gehen. Das Interesse gilt drei verschlafen dreinblickenden Gestalten, die auf kaputten Plastikstühlen um einen wackeligen Tisch sitzen und müde in ihren Kaffeetassen rühren. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht wünsche ich den Dreien ein guten Morgen. Ich zapfe mir etwas Trinkwasser aus einem großen Kanister, fülle einen Löffel Instantkaffe in eine Tasse und setzte mich kurze Zeit später mit meinem dampfenden Gebräu dazu. Und somit beginnt der zweite Teil meines morgendlichen Rituals, welches mich drei Wochen lang begleiten wird.

Merlyn
Merlyn

Auf der Internetplattform Workaway, die Reisende an lokale Arbeitgeber vermittelt, haben wir ein Jobangebot von einem kleinen Hostel auf der philippinischen Insel Bohol erhalten. Für jeweils fünf Tage die Woche, vier Stunden täglich, helfen wir ein wenig aus und erhalten dafür ein Bett und eine Mahlzeit. Ein guter Deal, der nicht nur die Reisekasse schont, sondern vor allem Kopf und Herz mit tollen Erinnerungen füllt. Denn neben der eigentlichen Arbeit geht es bei diesen Austauschprogrammen vor allem um eins: Austausch.

An unserem morgendlichen Küchentisch wird auch sehr viel getauscht, anfangs vor allem Schimpfwörter in deutscher und philippinischer Sprache, später auch immer mehr Persönliches aus Leben, die sich so sehr ähneln und doch unterschiedlicher nicht sein könnten. Stephanie, Marc und Merlyn, so heißen die drei müden Gestalten, studieren Ernährungswissenschaften im letzten Jahr und absolvieren gerade ihr mehrmonatiges Praktikum. Ihr Einsatzort im Hostel hat dabei nur wenig mit ihrem Studienfach zu tun. Doch das scheint auf den Philippinen nebensächlich. Stephanie erzählt mir später, dass jeder Student so ein Praktikum absolvieren muss. Die Konkurrenz sei groß und der Tourismussektor als einer der größten Arbeitgeber des Landes daher sehr begehrt.


Mittlerweile zeigt die Uhr 7:10.


Marc
Marc

Wir trinken unseren Kaffee. Es wird viel gelacht und rumgeblödelt. Scheinbar zeigt das Koffein langsam Wirkung. Während ich vor einer halben Stunde aufgestanden bin, sind die anderen drei bereits seit über zwei Stunden auf den Beinen. Arbeitswege von einer Stunde und mehr sind keine Seltenheit auf der neunt größten Insel der Philippinen. Dazu verlangt die Stechuhr Morgen für Morgen ihre Karten um Punkt 6 Uhr.


Der Kaffee ist ausgetrunken, es ist 7:30 Uhr.


Die ersten Gäste stolpern verschlafen aus ihren Zimmern und bestellen Frühstück. Wir servieren eine Auswahl an philippinischen und kontinentalen Frühstücksvarianten, dazu gibt’s Kaffee oder Tee. Ich habe mich in der ersten Woche zum Getränkezubereiter hochgearbeitet. Später darf ich sogar ab und zu mal das Essen kochen. Dieser mühsame Karriereweg ist dabei weniger meiner Inkompetenz in der Küche geschuldet (wer mich kennt weiß, dass ich mich hier eigentlich recht sicher bewege) sondern viel mehr kulturellen Besonderheiten. Wir lernen die Philippinos als ausgesprochen fleißig und strebsam kennen, dazu mischt sich ein merkwürdiger Respekt uns Workawayern gegenüber, der es ihnen schwer macht Arbeiten zu delegieren. So wurde ich anfangs vor allem mehr als Gast wahrgenommen, der ausnahmsweise mal in die Kühe durfte. Den Titel Kollege, musste ich mir dagegen erst verdienen. Und so waren meine ersten Stunden und Tage durch beharrliches Betteln nach Arbeit gekennzeichnet und ich glaube das gerade dieser Wille zur Unterstützung am Ende das Eis gebrochen hat.


Es ist 8:30 Uhr.


Stephanie
Stephanie

Der erste Schwung an Gästen ist fertig mit dem Frühstück. Wir räumen die Tische ab und ich spüle zusammen mit Steph das Geschirr. Ich habe mir mittlerweile abgewöhnt zu fragen und habe das Geschirrspülen als dankbare Arbeit für mich entdeckt. Stephanie kann es trotzdem nicht lassen mir zu helfen und so waschen wir nebeneinander ab.

„Wenn du dir jeden Job der Welt aussuchen könntest, was würdest du gerne machen, wenn du mit deinem Studium fertig bist?“, frage ich Steph. Sie überlegt nicht lange und antwortet mir, dass sie gerne noch Lebensmitteltechnologie studieren würde. Sie habe da eine Verwandte in Canada, die ihr vielleicht einen Job vermitteln könnte. Und um ihre Chancen zu steigern, würde sie gerne noch einen höheren Abschluss dranhängen.

Es ist eine Frage, die ich hier noch häufig stellen werde und allen Antworten gemein ist der große Wunsch, die Philippinen zu verlassen. Marc würde gerne auf einem Kreuzfahrtschiff arbeiten, Merlyn nach Korea gehen und Arbeit finden. Andere Wünsche handeln von einem Leben in Europa, den USA oder hoch oben über den Wolken als Stewardess. Es sei die Perspektivlosigkeit im eigenen Land und der Wunsch nach einem besseren Leben, der ihre Sehnsucht in die Welt beflügelt. Mich stimmen diese Aussagen nachdenklich. Was sagt das über ein Land, wenn seine jungen und gut ausgebildeten Menschen es unbedingt verlassen wollen? Gleichzeitig höre ich keine Verbitterung in ihren Stimmen, wenn sie von ihren Träumen im Ausland erzählen.

„Es bringe nichts über Dinge zu schmollen, die man eh nicht ändern kann“, wird mir Steph später noch erzählen. Auch wieder so eine Aussage, ja fast schon Philosophie, die uns noch häufig auf den Philippinen begegnen wird.

„Stattdessen singen, tanzen und lachen wir, um uns unsere gute Laune nicht vermiesen zu lassen.“ Ich bewundere diese Lebenseinstellung und frage mich einmal mehr, warum gerade wir überprivilegierten Europäer Probleme haben, mit solch einer Sicht auf das Leben zu blicken.


Der Zeitmesser zeigt 11:00 Uhr an.


Die Küche
Die Küche

Meine Schicht ist vorbei und ich schlüpfe wieder zurück in die Rolle des weißen Touristen. Während ich am Strand entspanne, die Insel mit dem Roller erkunde und mich durch leckere Restaurants probiere, bringen Stephanie, Marc und Merlyn die Küche auf Vordermann und beginnen dann damit, die Zimmer der Gäste zu reinigen. Um 15 Uhr würde ihre reguläre Schicht eigentlich enden. Doch das ist mehr Ausnahme als Regel. Stattdessen bestimmen Überstunden und gestrichene Wochenenden ihren Alltag. Krankentage gibt es sowieso nicht. Hierfür müssen sie ihre kostbaren freien Tage verwenden. Nicht einmal 1,50€ pro Tag bekommen sie dafür, unabhängig davon ob ihr Arbeitstag acht, neun oder zwölf Stunden hat. Für die Festangestellten gibt es je nach Arbeitsort zwischen 4€ und 7€ pro Tag.


Mittlerweile geht die Sonne unter. Es ist 18 Uhr.


Wir kommen von unserem Ausflug zurück. Marc, Steph und Merlyn stehen mittlerweile wieder in der Küche. Überstunden, mal wieder. Ihr eigentlicher freier Tag morgen wurde gestrichen. Zu viel zu tun. Wir winken ihnen zum Abschied und steigen die Treppe zu unserem Zimmer hinauf. Aus der Küche hören wir APT von Bruno Mars. Steph, Marc und Merlyn singen und tanzen euphorisch mit. Wir hören noch ihr schallendes Gelächter, als wir die Tür zu unserem Zimmer erreichen.


Die Frühstücks-Crew
Die Frühstücks-Crew

 

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