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Tim Evers

Vielfalt am Frühstücksbuffet

Istanbul, Türkei, 31. August 2014





Die Sonne scheint durch unser Fenster. Es ist viel zu hell, aber die Vorhänge müssen offen bleiben. Für den Ausblick haben wir schließlich bezahlt, hat meine Frau nur gemeint. Also liege ich im Bett, kneife die Augen zusammen und versuche trotz der Helligkeit noch ein wenig zu schlafen. Da streichelt mir eine kleine Hand sanft über meine Schulter. Ich blinzele, öffne verschlafen die Augen und blicke in das aufgeweckte Gesicht meiner Tochter. „Ich hab´ Hunger“, höre ich sie gleich darauf sagen, mal wieder.

Die letzten Wochen waren wir eigentlich ziemlich stolz darauf, ihren Schlafrhythmus in unserem Sinne optimiert zu haben. Bis um 9 Uhr schlafen war eher die Regel als die Ausnahme, doch seit ein paar Tagen ist alles anders. Was hat sich geändert? Nun ja, die letzten Unterkünfte in Budapest und Bukarest waren Airbnbs, mit Wohnzimmer, Schlafzimmer und eigener Küche. Papas Job war das Frühstück. Das war zwar scheinbar ok, aber haute einen auch nicht gerade vom Hocker - schon gar nicht veranlasste es einen dazu früher aufzustehen. Eine lange Nachtbusfahrt und zwei Grenzübergänge später sieht die ganze Sache anders aus. An unserem türkischen Frühstücksbuffet biegen sich die Tische sprichwörtlich unter den Köstlichkeiten aus aller Welt. Frisches Obst und Gemüse in bester Qualität, türkische Süßigkeiten und Tee, arabisches Brot, italienische Omeletts und westliche Aufstriche lassen das Herz meiner Tochter höher schlagen und dadurch auch wieder mindestens eine Stunde früher wach werden, mit der immer gleichen Begrüßung: „Papa, ich hab Hunger.“

So vielfältig wie das Frühstücksbuffet selbst präsentieren sich übrigens auch seine Besucher. Morgen für Morgen lässt sich dieser Schmelztiegel der Kulturen in destillierter Reinform beobachten. So finden sich in der Omeletteschlange ein Westeuropäer im Geschäftsanzug, ein schwarzer Amerikaner in Shorts, eine Frau im Minirock und bauchfreien Top, gefolgt von einem Asiaten samt Rollkoffer und zwei Frauen mit Hijab und Niqab. Faszinierend ist dabei ihr gegenseitiges Desinteresse füreinander. Keine neugierigen Blicke für die Unterschiede der wartenden Gesellschaft. Was sie eint, ist ihr Appetit auf ein köstliches Omelette. Und so zeigt sich das heterogene und kunterbunte Istanbul auffällig gleichgültig, ja nahezu blind für seine Vielfalt. Vielleicht machen das 2000 Jahre hin und her Gerissenheit zwischen Orient und Okzident. Vielleicht gehört es auch zum kollektiven Selbstverständnis einer Metropole, die sich als Brücke zwischen Ost und West versteht. Oder, frage ich mich schuldbewusst, ist es auch das normalste der Welt, kein Thema daraus zu machen und ich bin der Einzige im Raum, der darüber mental Buch führt? Wie auch immer, in unserem Mikrokosmos Frühstücksaal ist die Welt jedenfalls in Ordnung. Hautfarbe, Kultur und Religion spielen keine Rolle, zumindest nicht, wenn man Hunger hat. Ach könnte die Welt doch nur ein ewiges Frühstücksbuffet sein…

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