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Tim Evers

Stehlen und bestohlen werden




März 2017, Quito, Ecuador


Für die nun folgende Geschichte benötigen wir: eine Prise Pech, eine Prise weibliche Intuition, einen gehäuften Teelöffel Glück und ganz viel Dummheit.Sie spielt in Quito der Hauptstadt Ecuadors, die man auch getrost die Stadt in den Wolken nennen könnte, ohne auch nur ein wenig zu übertreiben. Knappe 3000 m hoch thront sie in den Anden, umgeben von majestätischen Bergen, die jedoch nur selten ihr Antlitz zeigen.Permanent scheinen dunkle Wolken um die Stadt zu kreisen, immer weiter in sie einzudringen und sie förmlich zu verschlucken. Schwer von Abermillionen Wassertropfen hängen sie so flach über den Straßen der Stadt, dass man glatt versuchen möchte, ein Stück dunkler Zuckerwatte aus ihnen herauszubrechen. Gemeinsam mit dem letzten Licht der Abendstunden hüllen sie Quito in eine geheimnisvolle Aura.Ein perfekter Ort also für eine unglaubliche Geschichte.Es ist Mittwoch, der 08. März, und wir kommen erschöpft in Quito an. Eine lange Reise aus Kolumbien steckt uns in den Knochen, dennoch kommen wir, fasziniert von der Stadt, nur kurz zur Ruhe. Wir stellen unsere Sachen ab und machen uns gleich danach auf den Weg zu einem ersten Stadtbummel. Das Hotel ist schön. Vieles lässt jedoch auf eine frühere Vergangenheit in einem anderen Gewerbe schließen und verleiht dem ganzen dann doch eine etwas zwielichtige Aura. Also holen wir unseren Packsafe raus, verstauen unsere Wertsachen darin und befestigen ihn an einem Fenstergitter. So ein Packsafe ist ein kleiner Sack, mit einem eingenähten Stahlgitter, der es Leuten mit klebrigen Händen schwermachen soll, die geliebten Sachgüter zu klauen. Das Ganze wird mit einem Stahlseil verschlossen, welches man dazu noch an einem sperrigen Gegenstand befestigen kann. So kann man weder in den Sack greifen, noch selbigen mitnehmen. Nicht unbedingt meisterdiebsicher, aber schon sicher. Sollte man zumindest meinen.Nach unserem kleinen Spaziergang kommen wir wieder, schließen die Tür zu unserem Zimmer auf und stellen zu unserer Überraschung fest, dass der Fernseher läuft. Die meisten von euch werden wahrscheinlich schon längst wissen worauf das hinaus läuft, aber wir waren in diesem Moment noch nicht soweit. Erst ein paar Minuten später, als ich unser Tablet aus dem Packsafe holen will, setzten sich die Puzzleteile langsam zusammen, jedoch noch immer nicht so ganz, denn: ja es wurde was gestohlen, aber der Dieb hat nicht alles mitgenommen. Der Packsafe hängt immer noch da, wo wir ihn angehängt haben und verschlossen ist er auch noch. Auch Tablet, Portemonnaie, Pässe und Handy sind noch da, aber die Kamera und Objektive fehlen. Selbstverständlich denkt man sofort an einen Diebstahl, aber das ganze Szenario hält einen dann doch nicht davon ab, an sich selbst zu zweifeln. „War die Kamera vorhin überhaupt noch da? Wann habe ich die das letzte Mal gesehen?“, sind so Gedanken, die einem durch den Kopf schießen. Wir hatten eine lange Reise hinter uns und zumindest ich kenne meine eigene Schusseligkeit und kann für nichts garantieren. Adina dagegen, war sich ziemlich schnell sicher, die Kamera vorhin noch gesehen zu haben. Bleibt dennoch der Fakt, dass die Hälfte der Sachen trotzdem noch da war. Alles Kalkül, um die Opfer zu verunsichern? Ein verdammt gerissener Dieb also? Wir werden noch sehen. Aber der Reihe nach. Zuerst wird Opa Heinz alarmiert und zusammen mit ihm beim Hotelpersonal Bescheid gesagt. Kurze Zeit später steht der Chef bei uns im Zimmer und will es selbst nicht glauben. Die Fernseher gehen öfter von alleine an und kein Dieb würde unser super wertvolles Tablet liegen lassen. So wühlt er immer wieder unsere Sachen durch, in der Hoffnung die dummen Touristen haben die Kamera doch noch irgendwo versteckt. Wir dagegen bekommen langsam den Eindruck, dass hier etwas nicht stimmt. Fast hoffen wir schon, der Chef steckt selbst mit drin und will die Kamera vor lauter schlechtem Gewissen nun in unserem Zimmer verstecken. Denn komischerweise wollte er erst ohne uns hierher. Doch auch er findet nichts und kurze Zeit später steht die Polizei in unserem Zimmer, alarmiert vom Chef und wir wissen damit nun gar nicht mehr was wir denken sollen.So erzählt Heinz abermals die Geschichte und der Chef bringt abermals sein Misstrauen zum Ausdruck. Auch die Polizei sieht nicht so richtig überzeugt aus und wir werden einfach nicht schlau aus der Geschichte. Doch wir bleiben dabei: wir wurden bestohlen und so kommt die Polizei nun endlich in Fahrt und nimmt, wie könnte es anders sein, erst einmal die Personalien auf, um sich dann auch schon wieder zu verabschieden.Der Chef bietet uns noch ein anderes Zimmer an und will uns am nächsten Tag aufgrund seines schlechten Gewissens, seine eigene Kamera schenken. Wir lehnen dankend ab, wollen jedoch am nächsten Tag die Überwachungsaufnahmen des Hotels sehen. Der Chef lenkt ein und verabschiedet sich schließlich auch.Wir schlafen verhältnismäßig gut, bedenkt man, dass hier vor geraumer Zeit noch ein Fremder in unserem Zimmer stand. Gut erholt gehen wir am nächsten Morgen zum Frühstück, wo uns schon der Chef mit seiner Kamera entgegenkommt. Wir beraten uns, geben die Kamera schließlich aber wieder ab. Zu schwer wäre das eigene Gewissen, sollte nun der falsche dafür bestraft werden. Stattdessen verlangen wir wieder die Videos zu sehen. Doch der Chef besteht auf sein Geschenk und verkündet im gleichen Atemzug, dass die Kameras nicht funktionieren. Wie klischeehaft und natürlich wusste er das gestern noch nicht. Wieder sind wir über die Rolle des Chefs in diesem merkwürdigen Drama verunsichert und so langsam überlegen wir die Kamera nicht doch einfach zu nehmen. Auch Heinz spricht uns zu: „Und selbst wenn er nichts dafür kann Kinder, so habt ihr wenigstens eine neue Kamera. Drauf geschissen. Ihr seid einfach zu nett.“Und so nehmen wir die Kamera und die Geschichte könnte eigentlich hier enden. Aber wir haben euch ja eine unglaubliche Geschichte versprochen und die sollt ihr bekommen.So probieren wir die neue Kamera aus und stellen fest, dass der Akku nicht mehr der Neuste ist. Also einen Neuen besorgen.Unsere Suche führt uns dabei ins sogenannte „Centro Commercial“. Einem mehrstöckigen Gebäude mit vielen kleinen Läden, in denen man allerhand Elektronikkram finden kann. Wir fragen uns durch und stoßen schließlich auf einen Laden mit Kameras und Zubehör. Eine Sony Alpha lächelt mich dort an und ich komme, auch wenn wir erst seit ein paar Minuten die neuen Besitzer der Kamera des Chefs sind, nicht drum herum nach dem Preis zu fragen. Und siehe da, ziemlich günstig ist das gute Stück. Hier und da ein paar Kratzer also wahrscheinlich gebraucht, aber immerhin. Und plötzlich regt sich ein Verdacht. Wie wahrscheinlich ist es, dass an diesem doch etwas zwielichtigen Ort mit gebrauchten Kameras gehandelt wird? Oder besser gesagt, wie wahrscheinlich ist es, dass die Besitzer ihre gebrauchten Kameras freiwillig abgeben haben?Und so setzt sich der zunächst als Scherz formulierte Gedanke fest und Adina entwickelt spontan den Ehrgeiz, sämtliche Geschäfte nach unserer Kamera abzusuchen. Ich dagegen denke mir, wie aussichtslos das sein mag, begebe mich aber in Gedanken auf die Suche nach unserer NEUEN Kamera. Nach drei Stockwerken verliert Heinz die Lust und bittet um Aufgabe, Adina aber will weitersuchen. Und tatsächlich, wer hätte es geahnt (außer der aufmerksame Leser dieses Artikels), im vierten Stock liegt eine Kamera im Schaufenster, die sämtliches offensichtliche Zubehör mit sich trägt, wie unsere. Adina explodiert fast vor Freude, legt dann aber im letzten Moment noch so viel Coolness an den Tag, den netten Gebrauchtwarenverkäufer nach zwei Kameras zu fragen. Doch scheinbar reicht dieser kleine Trick nicht und der Verdacht ist geweckt. Jedenfalls weigert sich der Herr uns die Kamera „probieren“ zu lassen. Also schicken wir Heinz los, den Hotelchef zu holen und Adina und ich beziehen Stellung, um den Laden zu überwachen. Eine gefühlte Ewigkeit später kommen die beiden wieder, inklusive Polizei, die der Chef unterwegs verständigte.Die Ordnungshüter verlangen die Herausgabe der Kamera und fragen mich schließlich, ob ich beweisen könnte, dass es unsere ist. „Verdammt“, denke ich mir nur, „Kann ich natürlich nicht.“, und öffne dennoch reflexartig die Abdeckung der Speicherkarte. Und plötzlich fängt mein Herz an zu schlagen. Die Speicherkarte, unsere Speicherkarte ist immer noch da. Ich schließe die Abdeckung, schalte die Kamera an und gehe auf Wiedergabe. Das alles wie in Trance, während mein Herz fast explodiert. Und dann sehe ich Opa Heinz auf unserer Kamera, wie er auf einer 1500 Jahre alten präkolumbianischen Statur sitzt und ich grinse über beide Ohren. Zeitgleich sieht auch der Polizist das Foto, schaut nochmal herüber zu Heinz und schüttelt fast unmerklich den Kopf, als würde er sich für die Diebe seiner eigenen Nationalität schämen. Doch während wir noch lauthals lachen und über beide Ohren strahlen, fangen die „Gebrauchtwarenverkäufer“ bereits mit ihren Ausreden an. Selbstverständlich war es kein Ecuadorianer der ihnen die Kamera verkauft hat, denn was bei uns der Pole ist, ist hier der böse Kolumbianer. Uns egal woher der dumme Dieb kommt aber wir wollen auch noch das zweite Objektiv zurück. Der Hehler jedoch wittert nun das Verlustgeschäft und bemüht sich um Schadensbegrenzung. Selbstverständlich hat der Kolumbianer nur die Kamera verkauft, nicht aber das Objektiv. Die Polizei lässt sich nicht so schnell abwimmeln und wird nun richtig aktiv. Streng nimmt sie die bösen Jungs in die Pflicht uns ein neues Objektiv zu besorgen und siehe da, schon geht ein Schränkchen auf, in dem sich haargenau das gleiche Objektiv befindet wie unseres. Wir können es kaum fassen und jubeln jetzt schon fast vor Freude. Die Hehler bemühen sich dagegen immer mehr um Diskretion, da schon fast das gesamte Center vor ihrem Laden steht und das Treiben beobachtet. Schließlich werden wir von der Polizei hinaus eskortiert. Mit einem Grinsen und einem Händedruck werden wir verabschiedet. Dem Hotelchef geben wir feierlich seine Kamera zurück und umarmen ihn nacheinander vor Freude.So werden wir den Tag nie vergessen, an dem die Stadt in den Wolken uns unsere Kamera nahm und wir sie zwischen ihren 2 Millionen Einwohnern wiederfanden.

                                        

 

 

 

 

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