Phönix aus der Asche
Aktualisiert: 19. Juni
28.02.2017, Medellín, Kolumbien
Wir haben viel recherchiert und viel überlegt, bevor wir auf das Schiff nach Kolumbien gestiegen sind. Und das lag nicht nur an dem saftigen Preis, sondern vor allem daran, dass es hier um Kolumbien geht. Trotz vieler, vieler positiver Geschichten, die wir bisher über dieses Land gehört haben, haben wir dennoch auch eine Menge Klischees von Drogen, Krieg und Gewalt in unseren Köpfen bzw. wissen wir einfach nicht, was davon noch Klischee ist und was Geschichte. Also was tut man, um in seinem Kopf ein paar Klischees zu entrümpeln? Man macht sich selbst ein Bild. Und da Kolumbien nun auch kein Kriegsgebiet (mehr) ist, haben wir es gewagt und die Segel gesetzt.
Nach einem kurzen Abstecher Richtung Karibikküste und einem feuchtfröhlichen Karnevalswochenende in Barranquilla, steuerten wir unser eigentliches Ziel an: Medellin.
Der einstige Sitz des Medellin-Kartells und ehemalig gefährlichste Stadt der Welt eignet sich wohl wie kein anderer Ort in Kolumbien, um dieses faszinierende Land zu verstehen und den Umbruch zu begreifen in dem es sich momentan befindet. Schlaftrunken verlassen wir den Bus und werden von einem überaus modernen und gut organisierten Bahnhof begrüßt. Statt mit einem klapprigen Transporter durchs sonst so gewohnte Großstadtchaos, geht es mit einer nigelnagelneuen Metro zum Hotel. Den gesamten Weg vom Busbahnhof über die Bahnstation bis zu unserer Haltestelle begleitet uns ein sehr sympathischer älterer Herr, den wir einfach nur zufällig nach dem Weg gefragt haben. Die Metro, so erfahren wir später ist einzigartig im ganzen Land und der ganze Stolz der Paiser. Keinen Kratzer, kein Graffiti, keinen Dreck wird man hier finden, denn die Bahn ist mehr als nur ein Fortbewegungsmittel. Sie ist Kultur, Geschichte und ein Zeichen der Hoffnung. Sie ist der Phönix der sich aus dem einstigen Trümmerhaufen Medellíns erhebt.
Neben zwei Metrolinien erheben sich drei Seilbahnlinien über das majestätische Tal der Stadt und verbinden damit die Slums mit dem Zentrum. Ehemals zeit- und kraftraubende Höhenmeter werden so in Minuten überwunden und der armen Bevölkerung damit Teilhabe geboten. Medellín ist voll solcher stadtentwicklungstechnischen Lehrstücke. Einige lernen wir auf der grandiosen Stadtführung persönlich kennen. „Orte der Hoffnung“, nennt sie unser Guide. Dunkle Gassen und Plätze voller krimineller Energie, die in etwas Schönes verwandelt wurden. Oftmals durch so einfache Sachen wie Lampen, die nichts Anderes tun als bei Tag schön auszusehen und bei Nacht die Straßen zu beleuchten. Dazu Museen und Verwaltungsgebäude, die heute dort stehen, wo damals Gangs die Straßen kontrolliert haben. Demokratische Stadtentwicklung heißt das in Medellín, die zweite Säule für ein besseres Kolumbien. Die dritte ist die Bildung. So wurden in den schlimmsten Bezirken der Stadt und den umgebenen Slums zahlreiche Bibliotheken gebaut. „Gib den jungen Leuten ein Buch in die Hand, damit sie keine Waffe nehmen.“
Bleibt noch der erste Schritt, der für ein besseres Kolumbien unternommen wurde: Sicherheit. Das heißt hartes Durchgreifen und massive Polizei- und Militärpräsenz im gesamten Land. Das ist gerade für unsere Augen sehr gewöhnungsbedürftig. Doch es zeigt seine Wirkung. Jahre lang wurden Straßen, Städte und ganze Regionen von verschiedenen Gruppen kontrolliert. Bis auf die zahlreichen Fluchtbewegungen vom Land in die Stadt, im Zuge des Bürgerkriegs, gab es praktisch keine Mobilität in Kolumbien. Heute ist das Land wieder bereisbar und es schoss ein riesiger Transportsektor mit hervorragenden Busunternehmen aus dem Boden. „Davon profitieren wir und auch ihr. Nur deswegen könnt ihr hier sein.“, sagt unser Guide immer wieder.
Diese drei Säulen tragen Medellín und haben aus ihr eine Stadt gemacht, in der man sich nun meist ohne Angst bewegen kann und in der wir uns durchaus wohlgefühlt haben. Eine Stadt, die nicht frei von Problemen ist, aber deren Bewohner stolz sind auf das, was bereits erreicht wurde. Medellín repräsentiert damit eine Art Mikrokosmos für das gesamte Land. Hier wurde im „Kleinen“ geschafft, was nun im Großen angepackt wird. Ganz aktuell also neben Sicherheit, Infrastruktur und Bildung, der Friedensvertrag mit der Farc. Eine offizielle und Dauerhafte Beendigung des Krieges und maßgebliche Weichen für einen Neuanfang. Das wirklich Große an diesem Vertrag: Er beinhaltet defacto eine Amnesie für den Großteil der Farc-Kämpfer. Die Guerillaarmee soll in eine politische Partei umgewandelt werden. Für die ersten Jahre stehen dieser, aufgrund schlechter Erfolgsaussichten, feste Anzahlen an Parlamentssitzen zu. Statt langen Gefängnisstrafen gibt es Resozialisierungsprojekte und die Kämpfer werden an den Aufbauarbeiten der ländlichen Regionen beteiligt. Im Angesicht der unzähligen Gräueltaten, die die Rebellen dem eigenen Volk antaten, also ein riesiger Wille des Friedens. Doch selbstverständlich teilt den nicht das ganze Land. Bei einer Volksbefragung stimmten 51% gegen den Vertrag, Wahlbeteiligung: 40%, bei dem wohl wichtigsten politischen Akt des Landes. Also boxt die Regierung den Vertrag durchs Parlament und umgeht damit 51% von 40% des Landes. Wie die restlichen 60% dazu stehen wird sich zeigen. Wir fragen unseren Guide, was er von dem Gesetzt hält und wie er gestimmt hat: „Natürlich ist der Vertrag weit davon entfernt perfekt zu sein und er beinhaltet vieles, was eine Zäsur für viele Menschen des Landes darstellt. Aber er ist das Beste, was wir kriegen können. Und wenn das der Preis ist, den wir für den Frieden zahlen müssen, dann müssen wir das tun. Denn dieses Land hat genug gelitten.“
In Medellín begegnen uns unzählige Tagelöhner, die sich mit in unseren Augen hoffnungslosen Arbeiten durchs Leben schlagen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Viele sind gezeichnet. Ohne Arm, ohne Bein, auf Krücken humpelnd, streifen sie durch die Straßen. Ich recherchiere und finde heraus, dass in der Provinz Antioquia tausende von Landminen gelegt wurden und die Region hart umkämpft war. Tausende Kolumbianer flüchteten in die Städte. In einer Fahrt in der Seilbahn über Medellín, kann man das Resultat sehen. Wie ein Geschwür wuchern die unzähligen Behausungen aus dem Tal, in dem sich der Stadtkern befindet und erstrecken sich weit in die Berghänge. Wer als erster kam und weit unten wohnt, hat ein Haus aus Stein und ein Ziegeldach. Am Ende der Seilbahn dagegen, muss alles herhalten, was sich irgendwie zu vier Wänden zusammenbauen lässt.
Dennoch sprüht die Stadt vor Energie. Eine wohlige Betriebsamkeit zieht durch die Straßen, die Menschen sind freundlich, offen und hilfsbereit. Jeden Abend werden die Bars der Stadt bevölkert und das Leben gefeiert. Unzählige Kolumbianer bereisen ihr eigenes Land und tummeln sich fröhlich an den Stränden der Karibik. In Barranquilla frönen Millionen Menschen dem Jeckentum. Und dabei müssten man überall Depression erwarten. Wie passt das zusammen? „Nun ja, wir Kolumbianer haben ein selektives Gedächtnis.“, sagt unser Guide und erzählt uns eine Geschichte. Er zeigt auf einem Platz auf der gegenüber liegenden Straßenseite und sagt, dass genau dort vor Jahren neun Menschen gestorben sind, weil eine Bombe detonierte. Kein Zeichen des Gedenkens weist darauf hin und wahrscheinlich kein nicht selbst betroffener Kolumbianer, kann sich heute daran erinnern. „Wir Kolumbianer sind gut im Vergessen, denn in unserer gesamten Geschichte, steht uns das Wasser permanent zum Hals, mal deutlich darüber, manchmal auch darunter, aber immer verflucht hoch. Deswegen greifen wir nach jedem Strohhalm des Glücks, den wir kriegen können. Und bekommen wir diesen zu fassen, so vergessen wir gleich, dass wir soeben noch kurz vorm Ertrinken waren und feiern den Moment. Als Kolumbien einen Etappensieg bei der Tour de France erreichte oder gegen Deutschland ein Unentschieden im Fußball rausholte, da feierte das ganze Land. Dabei war es noch nicht mal ein richtiger Sieg. Aber es wird noch heute davon erzählt und das Leid damit verdrängt.“
Wahrscheinlich bedarf es so einer Mentalität, um nach all den schrecklichen Sachen dem Leben noch etwas abzugewinnen. Uns jedenfalls flößt dies wahnsinnigen Respekt ein und wir ziehen unseren Hut vor so viel Lebensmut.
Wie sieht es nun aber aus mit den Klischees über Kolumbien?
Kolumbien ist noch immer der größte Kokainexporteur der Welt und noch immer sterben in diesem Land Menschen deswegen. Noch immer gibt es einzelne Gruppen in den kolumbianischen Wäldern, die sich weigern den Kampf zu beenden. Und noch immer streifen Banden durch Gegenden und überfallen Menschen und schlimmeres. Als Besucher dieses Landes muss man sich daher immer noch an gewisse Regeln halten und mit wachem Geist durch die Straßen ziehen. Doch das soll nicht heißen, dass man nicht auch unbesorgt die Schönheit dieses faszinierenden Landes genießen kann. Unser Guide gibt während der Stadtführung die Gefahr, Opfer eines Diebstahls zu werden, mit der Papaya-Skala an. „Denn letztendlich ist es doch so“, sagt er. „Eine Papaya will erst mal immer niemand haben. Doch wird diese angeboten, so muss man sie auch nehmen.“ Gelegenheit macht Diebe, würden wir wohl sagen. Und so verhält es sich auch in Kolumbien. Wer sich aber traut und sich an ein paar gewisse Regeln hält, der wird garantiert belohnt.
Also: Ein Herz gefasst und auf nach Kolumbien. Das Land und seine Einwohner werden es euch danken.
P.S.: Das Titelbild dieses Beitrags wurde auf dem San-Antonio-Platz in Medellín aufgenommen. Hier verübte die FARC 1995 einen Bombenanschlag während eines Musikfestivals, indem sie Sprengstoff unter dem Bronzevogel des Künstlers Botero versteckte. Mehr als 30 Menschen starben. Der Kolumbianer fertigte darauf einen neuen Vogel an, unter der Bedingung, dass der alte dort als Mahnmal stehen bleibt. Dieses Bild symbolisiert für mich Kolumbien.
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