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Tim Evers

Eine Reise zwischen Traum und Realität

25. Mai 2017, Bolivien





Es ist kurz vor sechs Uhr abends. Schwere Wolken hängen in den grünen Hügeln der bolivianischen Yungas, die den Übergang zwischen Anden und Amazonasbecken bilden. Die schwüle Luft ist erfüllt von lautem Motorengeräusch, während sich das letzte Licht des Tages seinen Weg auf die Erde bahnt. Wir sitzen an der Hauptstraße und inspizieren jedes Gefährt haargenau, was damit gequälten Motor an uns vorbeirauscht. Denn wir warten auf unseren Bus, der uns weiter hinab bringt. Hinaus aus dem kalten, bolivianischen Hochland, in den fruchtbaren Amazonas. Ich halte einen kleinen Zettel in meinen Händen, den uns der nette Mann im Reisebüro ein Dorf weitergegeben hat. Darauf hat er Farbe, Marke und Kennzeichen unseres Busses vermerkt, damit wir diesen hier an der Hauptverkehrsstraße zwischen La Paz und dem Amazonas sowie all dem Altmetall finden. Und so schreiten wir immer wieder die Reihen der eintreffenden Busse ab, die liebevoll von ihren Fahrern bemalt und mit kreativen Namen versehen wurden, als würde das über ihren doch mehr als fragwürdigen Zustand hinwegtäuschen. Eine Stunde später, trifft schließlich ein mit einem barbusigen Cowgirl verzierter Bus mit dem Namen „Optibus Prime“ ein. Farbe und Kennzeichen stimmen und man gewährt uns Einlass. Ganze 12 Stunden brauchen wir für die 329 Kilometer, denn bei all den Bodenschätzen, naturaler Vielfalt und kulturellen Reichtum, scheint es an einer Sache in Bolivien zu mangeln. Und das ist Asphalt. So quälen sich halb antike Busse, die bei uns entweder verschrottet oder mit Oldtimerkennzeichen versehen werden würden, über matschige Lehmpisten durch das gesamte Land und versuchen dabei, den unzähligen Schlaglöchern auszuweichen. Eine Kombination, die das Reisen in Bolivien positiv ausgedrückt, entschleunigt.



Es dämmert gerade als wir in Rurrenabaque ankommen und eine feuerrote Sonne taucht den Himmel in ein tiefes orange. Rurrenabaque ist das Tor in die bolivianische Amazonaswelt. Dabei hat der abenteuerhungrige Reisende die Wahl, zwischen einer Tour in den Regenwald oder in die Pampa. Die Anzahl der Anbieter ist schier erschlagend. Gleich am ersten Tag, entführt uns ein sympathischer Tour-Guide in sein Büro. Doch unser Plan geht nicht auf. Die Preise sind gestiegen und zudem von der Regierung festgesetzt und bieten damit wenig Spielraum. Auch kürzere Touren machen preislich keinen Unterschied. So haben wir das Abenteuer schon fast abgeschrieben, als wir durch die Straßen schlendern und ein halb illegales aber unschlagbares Angebot von unserem bereits bekannten Tour-Guide bekommen.

Am nächsten Tag geht es drei Stunden in einem Jeep über altbekannte Lehmpisten an den Rand des Nationalparks. Zum Leid meiner Mitreisenden, habe ich am Morgen auf Ratschlag unseres Guides eine rohe Zehe Knoblauch gekaut. Das wurde mir als natürliches Mittel gegen Mosquitos verkauft. Wie sich jedoch noch zeigen wird, stellt sich bis auf üblen Mundgeruch, kein weiterer Effekt ein und ich werde mich noch fragen, ob sich der nette Guide nicht vielleicht einen Scherz erlaubt hat.

Wir erreichen die Rangerstation und wechseln das Gefährt. Mit einem kleinen Boot befahren wir die unzähligen Seitenarme des Rio Benis, die mit den überschwemmten Gebieten der Feuchtsavanne, ein verwirrendes Labyrinth aus Wasserstraßen bilden. Hier tummeln sich viele Wasservögel, Schildkröten, Kaimane, verschiedene Affen sowie Arras und Tukane. Unser Guide ist ein junger, sympathischer Bolivianer, der in der Pampa aufgewachsen ist und über einen herrlichen Humor verfügt. Besonders mit den anwesenden Französinnen hat er seinen Spaß und zieht sie immer wieder mit ihren nicht vorhandenen Englischkenntnissen auf. Zudem liegt ihm seine Heimat am Herzen. Immer wieder hält er an um Müll aus dem Fluss zu sammeln und in einem anderen Boot Bananen auf den Köpfen der anwesenden platziert werden, um eine Horde von Affen an zu locken, macht er sich subtil darüber lustig, indem er laut fragt, ob auch jemand von uns Affenkacke auf dem Kopf haben will.

Nach etwa drei Stunden erreichen wir unsere Lodge, die von einem landestypischen Wachhund bewacht wird: einem 3m großen Kaiman. Fasziniert, aber mit gebührender Vorsicht gehen wir an Land und betrachten das beeindruckende Tier aus der Nähe.

Nach einem hervorragenden Abendbrot, besteigen wir erneut unser Boot. Es geht zu einer kleinen Bar, die mitten in den Dschungel gebaut wurde und von der man den Sonnenuntergang bewundern kann. Das Schauspiel ist nur von kurzer Dauer, denn als die letzten Sonnenstrahlen verschwinden, fallen tausende Mosquitos über uns her, als hätten sie nur darauf gewartet. Fluchtartig verlassen wir das Gelände und machen uns auf den Rückweg. Und hier vollzieht sich das eigentliche Highlight des Abends. Über der Pampa hängen drei einzelne Gewitterwolken, wie Ufos über dem ansonsten sternenklaren Nachthimmel. Immer wieder zucken Blitze in ihnen hin und her und bringen die gewaltigen Wolken von innen heraus zum Leuchten. Dramatisch entladen sich Millionen von Volt ohne auch nur ein einziges Geräusch von sich zu geben. Wir halten, schalten den Motor aus und bewundern mit angehaltenem Atem das einzigartige Naturschauspiel.



Am nächsten Tag schlägt das Wetter um. Im Regen machen wir uns auf die Suche nach Flussdelphinen und werden fündig. Mit einem mulmigen Gefühl geht es ins unbekannte, trüb braune Wasser, um mit den Tümmlern zu schwimmen. Diese bleiben jedoch auf Abstand und so brechen wir nach zwei Tagen Wildnis den Heimweg an. Das Wetter macht uns den Abschied nicht schwer und mit all den Entdeckungen und Erlebnissen haben wir nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben und sind am Ende mehr als glücklich das Abenteuer Amazonas eingegangen zu sein.

      

Am gleichen Tag noch besteigen wir einen Bus und erreichen am nächsten Tag La Paz. Der höchste Regierungssitz der Welt liegt in den Anden auf einer Höhe von 3600m. Wie ein riesiges Geschwülst, wuchern die unzähligen roten Backsteinhäuser aus dem Tal die Berghänge hinauf und bieten uns einen beeindruckenden Anblick. Unsere Zeit in Bolivien ist jedoch knapp bemessen und so machen wir uns bereits einen Tag später auf nach Uyuni. In einem Artikel über die Menschen Boliviens, habe ich gelesen, dass die Hochlandbewohner eher rau und unnahbar, die Bewohner des Amazonasbeckens dagegen eher herzlich und offen sein sollen. Und auch wir machen diese Erfahrung. Scheinbar korrelieren Höhenmeter und Freundlichkeit hier direkt miteinander. Während wir in den Yungas und im Amazonas auf herzliche Menschen trafen, weigerte sich eine alte Dame in La Paz uns ein Brötchen zu verkaufen und in Uyuni auf 4000m Höhe trauten wir uns schon gar nicht mehr im Hotel nach etwas zu fragen.

Umso freundlicher zeigt sich jedoch unser Guide, mit dem wir drei Tage durch das bizarre Hochland des Altiplanos nach Chile aufbrechen. Mit uns an Bord sind (wie könnte es anders sein) ein weiterer Deutscher, ein netter Mongole und zwei Chinesinnen. Eine sehr interessante Reisegruppe also für die nächsten drei Tage.

Bereits am ersten Tag erreichen wir die schier unglaublichen Weiten der Salar de Uyuni, der höchsten und größten Salzwüste der Welt. Tonnen von Salz erstrecken sich in jede Richtung, soweit das Auge reicht und funkeln unter den Strahlen der Sonnen, die von einem tiefblauen Himmel auf uns herab scheint. Nach einem wundervollen Tag und den altbekannten Fotos im Gepäck erreichen wir unsere Unterkunft für die Nacht, mitten im Nirgendwo. Die Nacht ist kalt, sehr kalt und auch das in Flaschen abgefüllte heiße Wasser unter der Bettdecke, hält nicht lange vor. Zu allem Übel zieht ein kalter Wind durch ein kleines Loch im Dach und bereitet uns eine anstrengende Nacht.





Es ist 6 Uhr morgens und der Wecker klingelt, eigentlich überflüssig, denn an viel Schlaf war nicht zu denken. Frei nach dem Motto „geteiltes Leid ist halbes Leid“, habe ich auch Adina nicht viel schlafen lassen. So quälen wir uns hinaus, verlassen mühevoll den Schutz der wärmenden Decke und treffen ziemlich mitgenommen am Frühstückstisch ein. Wie einen wertvollen Schatz, hält hier ein jedes Mitglied unserer Gruppe gierig seine wärmende Teetasse in der Hand. Dann brechen wir auf.

Am ersten Halt quäle ich mich noch aus der Geborgenheit des Jeeps, dann fängt mein Körper, mit jedem zurück gelegten Meter mehr, an zu streiken. Von 3500 Metern geht es immer weiter hinauf, durch eindrucksvoll, bizarre Landschaften, die ich irgendwann nur noch in Trance wahrnehme.  Die Höhe, Kälte und die Strapazen der Nacht machen mir zu schaffen und schließlich macht mein Körper schlapp. Adina dagegen, begibt sich immer wieder in die Kälte und hält unsere Fahrt durch die beeindruckende Mondlandschaft fest.

Ich dagegen, krieche mit schlotternden Knien immer tiefer in den Schlafsack. Adina kümmert sich bei all dem liebevoll um mich und schenkt mir Wärme und Geborgenheit. Das macht alles ein wenig erträglicher, als schließlich auf über 4000 Metern Höhe auch noch die Heizung unseres Jeeps ausfällt.

Wie erreichen ein kleines Dorf am Rande der bolivianischen Grenze auf 4600 Metern. Einfache Lehmhütte bilden unser Nachtquartier. Ich bin überglücklich. Hauptsache raus, aus der kalten Enge des Jeeps. Unzählige Decken werden für mich herangeschafft und bilden ein Bollwerk gegen die unsägliche Kälte. Und tatsächlich bleibt es warm, doch die Last von schweren Decken auf der Brust und die dünne Luft des bolivianischen Hochlands, machen jeden Atemzug mühevoll.



Adina verbringt einen weiteren tollen Abend mit dem Rest unserer Gruppe bei einer Flasche Wein. Ich bin froh über die tollen Menschen die uns in diese Abgeschiedenheit begleiten, froh darüber, dass Adina so wenigstens die teure Tour genießen kann und froh darüber, dass die Salzwüste schon am ersten Tag auf dem Programm stand.

Am nächsten Morgen geht es um 4 Uhr los. Eine letzte Etappe steht auf dem Programm, bevor es hinunter geht in die ersehnte Wärme der chilenischen Atacama Wüste. Pünktlich zum Sonnenaufgang erreichen wir ein Geysirfeld. Heißer Wasserdampf schießt hier an unzähligen Stellen aus dem Boden. Weiter geht es an schneebedeckten Gipfeln, Thermalbecken und unwirklich aussehenden Lagunen vorbei. Dann erreichen wir schließlich die Grenze. Wir sind einer der letzten Gruppen, die an diesem verlassenen Außenposten der bolivianischen Gesellschaft aus den Weiten der Wüste eintrudeln. Dementsprechend lang ist die Schlange vor der kleinen Baracke und das Warten in der Kälte des Morgens wird schließlich zur Zerreißprobe.

Den Ausreisestempel lassen sich die Bolivianer bezahlen. Im Vorfeld haben wir davon von unserem Guide erfahren und penibel ausgerechnet, wie viel Geld wir für die Tour noch brauchen, um am Ende nicht noch die Taschen voll Bolivianos zu haben. Leider muss sich wohl einer verrechnet haben und ich habe zu allem Überfluss noch etwas Geld verbummelt. Jedenfalls geht die Rechnung nicht auf und eine Hand voll Groschen fehlen am Ende. Auch die die anderen haben sich im Vorfeld schlau gemacht und so sind auch ihre Budgets sehr knapp bemessen. Doch am Ende kratzen Jannik und Sana ihr Geld zusammen und wir können ausreisen. Erleichtert besteigen wir den Bus. Dieser bringt uns in unfassbaren 45 Minuten von 0 Grad in die wohltuende Wärme der Atacama Wüste. Über 2000 Höhenmeter legen wir dabei zurück und zwischenzeitlich erinnert einen der Druck in den Ohren an den Landeanflug eines Flugzeugs.

Letzter Akt: chilenische Einreise. Selbstverständlich wird hier bei jedem Rucksack etwas genauer hingeguckt, schließlich kommt man ja aus Bolivien. Dann haben wir es geschafft und liegen im Bett unseres Hotels. Dieses verlassen wir auch nur noch einmal, um in den Schlafsaal eines billigeren Hotels zu wechseln. Ansonsten dient unser kurzer Aufenthalt in Chile dazu, die geschundenen Körper zu erholen. Das war selbstverständlich nicht so geplant und ein wenig wehmütig waren wir schon, die Wunder der trockensten Wüste der Welt nicht zu erkunden. Aber man kann ja auch nicht alles haben.

 

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