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Der Secondhand-Wunsch

  • Tim Evers
  • 17. Mai
  • 4 Min. Lesezeit

15 Februar 2025, Hoi An, Vietnam



Eigentlich wollten wir von Saigon nur einen kleinen Ausflug in die Berge machen und entspannt den Weg zurück an der Küste nehmen. 

Eigentlich wollten wir uns auf den Süden von Vietnam konzentrieren, um in der Nähe der Hauptstadt zu bleiben. Und vor allem wollten wir eigentlich nicht so viel Bus fahren. 

Eigentlich. 

Und doch sitzen wir am Ende in einem vietnamesischen Schlafbus, um nach über 15 Stunden Fahrt die zenralvietnamesische Provinzhauptstadt Hoi An zu erreichen, über 1000 Kilometer von Ho Chi Minh City entfernt. Wie das ebenso ist mit guten Vorsätzen.

Doch warum das Ganze?

Nun, da wäre zunächst die aus dem 15. Jahrhundert stammende und perfekt restaurierte Altstadt von Hoi An. In den gelb getünchten Häusern der damaligen Handelsmetropole spiegeln sich die verschiedensten Einflüsse und Epochen ihrer Gäste und Bewohner wider. Die Kaufmannsvillen der japanischen, chinesischen und europäischen Händler sind prachtvoll, und es macht wahnsinnig Spaß, durch die kleinen Gassen der Stadt zu spazieren. Hinzu kommen die von den Kaufleuten aus Asien und China eingeführten und bis heute in Handarbeit hergestellten Lampions, die in sämtlichen Formen und Mustern Nacht für Nacht die Stadt in ein Spiel aus Licht und Farben tauchen. Und als ob das noch nicht genug wäre, durchzieht ein kleiner Fluss die pittoreske Altstadt, auf dem während des Laternenfestivals zum ersten Vollmond eines jeden Monats hunderte mit Wünschen versehener Kerzen zu Wasser gelassen werden.


So viel Schönheit hat natürlich ihren Preis: Hoi An ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Tag für Tag drängeln sich Tausende Touristen durch die schmalen Gassen der Altstadt. Das Laternenfest wird mittlerweile in abgespeckter Form und aus Liebe zu den internationalen Gästen täglich abgehalten und die ehemaligen Bewohner der Kaufmannsvillen sind schon lange fort. Stattdessen finden sich in den historischen Bauten eine nicht enden wollende Anzahl von hippen Cafés, günstigen Schneiderein und Souvenirläden.

Ach ja, das war auch noch ein Grund, nach Hoi An zu kommen: Nirgendwo in Vietnam kann man sich bessere und günstigere Kleidung schneidern lassen als hier. Das Abenteuer Maßanzug ist jedoch noch mal eine ganz andere Geschichte.

An dieser Stelle konzentrieren wir uns auf das Laternenfest, das zu unserem Glück auf den 13. Januar fällt und somit genau auf unseren Besuch der Stadt. Und auch wenn in Hoi An quasi jeden Tag Laternenfest ist, sorgen die Tage des Vollmondes doch für ein wenig mehr Ambiente in dieser ohnehin vor Sinnlichkeit strotzenden Stadt. Das liegt zum einen wohl daran, dass viele vor allem asiatischen Touristen durchaus vertraut sind mit der Welt der Götter und Geister und es demnach eine Sache ist für ein schönes Instagrambild ein Laternchen an einem x-beliebigen Tag auf dem Fluss zu entlassen, jedoch etwas ganz anderes zum Vollmond eine direkte Verbindung in die Geisterwelt und damit eine wirkliche Chance auf Erfüllung eines Wunsches zu haben. Und so erklärt sich vielleicht auch, warum am Tag des „echten“ Laternenfests deutlich mehr Menschen auf und am Fluss sind, um ihre Wunschlaternen dem Fluss zu überlassen. 


Wir beobachten das Treiben von der kleinen Terrasse unseres Restaurants aus. Mittlerweile erleuchten Hunderte Kerzen das Flussufer, während direkt daneben die Stadt in den Schein der abertausenden Lampions gehüllt ist. 

Noch so ein kleiner aber feiner Unterschied zu den täglichen Laternenfesten: am Tag des Vollmondes erlöschen sämtliche Straßenbeleuchtungen der Stadt und nur die Lampions erhellen sie in ihrem Schein.

„Die Lampions sind übrigens ein Symbol für Wohlstand und Glück, während die Kerzen für ein Gebet bzw. einen Wunsch stehen. Wie die Kerzen auf deinem Geburtstagskuchen.“, erklären wir unserer Tochter dieses schöne Ritual, während sie gebannt auf das Lichtermeer am Fluss starrt. Eigentlich rechnen wir fest damit, dass auch sie eine von den zahlreichen fliegenden Händlern dargebotenen, kleinen Laternen auf den Fluss setzen will, doch stattdessen schaut sie uns mit festem Blick an und sagt:

„Aber das ist doch Umweltverschmutzung.“

Verdutzt sehen wir uns an, geben ihr aber natürlich recht.

„Ja, das stimmt leider. Am Ende landen all diese Laternen im Meer oder in den Rinnsteinen der Stadt. Und das Tag für Tag.“

„Dann zünden wir aber keine Kerze an“, sagt sie bestimmt und wendet sich wieder den Lichtern der Stadt zu. Beeindruckt von so viel Weitsicht und Umweltbewusstsein, genehmigen wir uns erst einmal ein Schlückchen, starren weiter auf das Treiben am Fluss und schmunzeln leise in uns hinein.


Mittlerweile ist der Fluss deutlich über seine Ufer getreten, und viele der angrenzenden Straßen stehen unter Wasser. Ein Phänomen, mit dem die Städter längst vertraut sind und das vor allem bei Vollmond durch die erhöhten Gezeitenkräfte auftritt. Dadurch setzen viele der schwimmenden Laternen ihren Weg auf den überschwemmten Gehwegen fort, wo sie das Licht der Kerzen und Laternen auf atemberaubende Weise reflektieren. Wir gehen nach unten, um uns das Spektakel aus der Nähe anzusehen. Mit vielen anderen Besuchern tummeln wir uns auf den „Inseln“ an den Gehwegrändern, die noch nicht geflutet wurden, während die vielen kleinen Laternen an uns vorbeitreiben. „Die müssen doch in den Fluss, sonst klappt das nicht“, sagt unsere Tochter aufgeregt.


Schon ziehen wir die Schuhe aus, stapfen durch das vom Kerzenenschein erleuchtete Wasser und retten die vom Kurs abgekommen Laternen. Kerze für Kerze setzt unsere Tochter sie wieder in den Fluss, wobei sie jedes Mal kurz innehält und grüblerisch in die Flamme starrt. „Die waren ja eh schon im Wasser“, erklärt sie uns daraufhin überzeugt, als wir sie fragend mustern. Dann kann ich die ja ruhig noch mal nehmen, um mir auch etwas zu wünschen.“

Wer hätte das gedacht? Auch Wünsche kann man also wiederverwenden und ein gebrauchter Wunsch schont gleichzeitig die Umwelt. Ob er beim zweiten Mal auch noch so gut funktioniert, wird sich zeigen. Denn wie das immer so ist bei solchen Sachen: Einen Wunsch verrät man nicht. Auch keinen Secondhand-Wunsch.




 

 

 

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