Kapitel 10: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Ihre Reise zurück in tropische Gefilde, startete mit einem Umweg. Gerade als ihr Heimweh unerträglich zu werden drohte und sie neue Pläne schmiedeten, kündigte sich Verwandtschaftsbesuch von Siwa an. Diese Kakadus waren scheinbar überall. Und so kam es, dass sich Siwa und Macarius in einer gemütlichen Koje mit zwei Matratzen auf dem Boden wiederfanden, um mit einer schaukelnden Fähre Onkel Peter und Cousin Moritz entgegenzufahren.
Diesmal hatte sich Macarius durchgesetzt und sie traten ihre Reise nach Südkorea per Schiff und nicht per Flugzeug an, sehr zum Leidwesen Siwas. Während sich der kleine Krebs pudelwohl auf dem schaukelnden Schiff fühlte und vor allem die gemütlichen Matratzen Erinnerungen an seine Kindergartenzeit aufkommen ließen, litt das sonst so aufgeweckte Kakadumädchen Qualen. Siwas Gesichtsfarbe schien sich mit jeder Welle und jedem Schaukeln zu ändern. Während sie die ersten Minuten immer blasser wurde, bis sämtlich Nuancen aus ihrem Gesicht gewichen waren, änderte sich ihre Tönung nun seit einer guten Stunde in Richtung leuchtendes Rot und mittlerweile sah sie Macarius zum Verwechseln ähnlich, zumindest was ihre Gesichtsfarben anging.
„Macarius, ruf einen Krankenwagen! Ich bin krank oder haben etwas falsches gegessen. Irgendetwas stimmt nicht mit mir“, keuchte Siwa kläglich, „Vielleicht bin ich auch verhext worden. So wie ich mich fühle muss auf jeden Fall dunkle Magie im Spiel sein.“
Macarius sah seine Freundin mitfühlend an: „Hexerei gibt es doch nicht Siwa. Und du hast auch nichts Falsches gegessen oder bist krank, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne. Das, was du hast, nennt man Seekrankheit und wird durch das Schaukeln des Schiffes ausgelöst. Vor allem Tiere, die das Reisen auf dem Wasser nicht gewohnt sind, können davon betroffen sein. Aber keine Sorge Siwa, sobald wir an Land sind, sollte es wieder besser werden.“
Und so war es auch. Als das Schiff in den Hafen von Südkorea einlief, ging es Siwa schlagartig wieder gut und sie hatte schnell genug Kraft, um sich lauthals bei Macarius über das Reisen per Schiff aufzuregen.
„Vögel gehören in die Luft, lieber Macarius. So eine schaukelnde Blechbüchse ist einem Geschöpf der Lüfte wie mir nicht würdig. Mein ganzer Körper hat gegen diese Art der Reise rebelliert. Es war ein Zeichen von Protest und nicht von Schwäche, verstehst du? Bootsfahren ist einfach zutiefst unnatürlich für einen Vogel. Das hat Mutter Natur nicht so vorgesehen. Das ist, als würde man einen Meeresbewohner wie dich in ein Flug…“, schlagartig verstummte Siwa, als ihr ihr eigener Fehler bewusst wurde.
Macarius schaute seine Freundin herausfordernd an und fragte: „Ja Siwa? Was wolltest du sagen?“
„Ach nichts, schon gut.“, beeilte sich Siwas zu versichern und versuchte schnell vom Thema abzulenken, „Sieh mal da vorne, ein Restaurant. Hast du auch so einen Hunger wie ich?“
Macarius musste sich eingestehen, dass er tatsächlich riesigen Hunger hatte und froh darüber war, dass Siwa ihre endlosen Klagen über ihre Schiffsreise von allein beendete, auch wenn er seine Freundin gern noch ein wenig geneckt hätte. Und so traten sie ein, in das geschäftige Restaurant und suchten sich einen Platz. Die Stühle waren gefüllt mit Einheimischen, die um große Tische saßen, die sich unter den zahlreichen silbernen Schälchen zu biegen drohten. In der Mitte eines jeden Tisches befand sich eine große, mit glühenden Kohlen gefüllte Schale, auf der die Südkoreaner die zahlreichen Speisen grillten.
Macarius wich erschrocken einen Schritt zurück. „Hilfe! Offenes Feuer und das in geschlossenen Räumen. Das ist doch saugefährlich.“
„Beruhige dich Macarius. Das ist nicht gefährlich, jedenfalls nicht mehr als andere Formen der Essenszubereitung. Ich glaube wir sind in einem koreanischen Grillrestaurant gelandet. Das ist ziemlich typisch für dieses Land und die Einheimischen lieben es.“, erläuterte Siwa mit einem Anflug von Stolz, dem sonst so belesenen Macarius auch endlich mal etwas erklären zu können. Doch damit endete scheinbar bereits Siwas Wissen über die hiesige Kochkultur, denn als die beiden ihr Essen bestellen und zubereiten wollten, stolperten sie in so ziemlich jedes Fettnäpfchen und die südkoreanische Bedienung schlug bald buchstäblich die Hände über dem Kopf zusammen. Am Ende riss diese Siwa die Grillzange aus der Hand und bereitete das Abendessen für die beiden zu und Siwa musste sich eingestehen, dass sie vielleicht doch nicht so viel über die koreanische Grillart wusste, wie sie glaubte.
„So ist das scheinbar mit den kulturellen Unterschieden“, sagte Macarius versöhnlich. „Ich habe mal gelesen, dass man gerade beim Essen eine Kultur so richtig kennenlernen oder es auch so richtig vermasseln kann.“ Er zwinkerte Siwa zu, doch die schien seine Neckerei gar nicht zu bemerken. Gedankenversunken fragte sie stattdessen: Was ist das eigentlich, diese „Kultur“? Ich mein ich bin wirklich schon viel rumgekommen und habe das Wort schon oft gehört, aber ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht.“
„Laut Lexikon versteht man unter Kultur alles, was sich eine Gemeinschaft von Lebewesen ausgedacht oder erschaffen hat.“, erklärte Macarius nun wieder ganz in seinem Element.
„Also wie z.B. das koreanische BBQ!?“, erwiderte Siwa.
„Ja genau. Und je nachdem wo oder auch wann eine Gemeinschaft lebt, unterscheidet sich eben ihre Kultur.“
„Ja“, entgegnete Siwa aufgeregt. „Zuhause wird nur im Sommer und immer draußen gegrillt und hier machen sie das drinnen und wann immer sie Lust darauf haben. Und hier essen wir mit Stäbchen und zuhause mit Messer und Gabel.“
„Genau. Und schau mal da.“ Macarius deute in Richtung zwei koreanischer Tiger, die sich gerade mehrfach voreinander verbeugten. „Ich glaube das ist eine Geste der Begrüßung und des Dankes. Das haben wir doch in Japan auch schon gesehen.“
„Ja!“, antwortete Siwa. „Bei uns gibt man sich die Hand und hier verbeugt man sich. Ist das dann auch Kultur?“
„Ich denke schon.“, erwiderte Macarius. „Ich glaube, auch wie sich Tiere verhalten und wie sie sprechen, gehört zur Kultur. Oder auch welche Feste sie feiern.“
„Macarius! Apropos Feste feiern. Morgen ist doch Halloween. Oh, können wir uns bitte bitte verkleiden und Süßigkeiten sammeln gehen?“
„Mmh, ich glaube nicht, dass sie hier Halloween feiern Siwa. Wir haben doch gerade festgestellt, wie anders hier alles ist, also die Kultur. Da kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man in Südkorea Halloween feiert“, entgegnete Macarius misstrauisch. Doch er sollte sich irren.
Wie immer hörte Siwa nicht auf ihren Freund. Unbeirrt und unbelehrbar improvisierte sie aus den wenigen Habseligkeiten ihres Reisegepäcks ein Halloweenkostüm. Kurz darauf streifte sie als ansehnliche Hexe verkleidet durch die Dämmerung der südkoreanischen Hauptstadt. Zu ihrer Erleichterung begegneten ihr bald darauf die ersten Gruselgestalten in den Straßen der Stadt und ermutigt ging Siwa in die Eingangshalle eines Hotels. „Trick or treat“, sagte sie schüchtern, was auf englisch „Süßes oder Saures“ hieß.
Eine halbe Stunde später stand Siwa stolz und mit einem Beutel voller Süßigkeiten vor Macarius.
„Und sie feiern doch Halloween!“, sagte sie triumphierend. „So kompliziert wie das auch sein mag mit diesen kulturellen Unterschieden. Die wirklich schönen Dinge, sind doch überall gleich auf der Welt!“